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Der kleine Unterschied

Nein, im Folgenden wird es nicht um ein feministisches Thema gehen (auch wenn die Überschrift von Alice Schwarzer geklaut ist). Eben habe ich die Hamburg-Meldungen des Hamburger Abendblattes überflogen und bin dabei auf einen Beitrag gestoßen, dessen Bebilderung mich sehr irritiert hat.

So sehr, dass ich erst im zweiten Schritt auch den Kopf über den reißerischen Titel „Kopftuch-Referendarin beginnt ihre Ausbildung am Gymnasium“ schütteln konnte.

In dem Beitrag geht es darum, dass eine ehemalige Aushilfslehrerin, über die das Abendblatt bereits berichtet hatte, nun ihr Referendariat an einem Hamburger Gymnasium beginnen wird.

Der vormalige Bericht des Abendblattes hatte zum Inhalt, dass Eltern in HH-Dulsberg nicht damit einverstanden waren, dass eine Aushilfslehrerin „in Kopftuch und mit bodenlangem Gewand“ unterrichtet.

Das Bild zum aktuellen Text zeigt nun allerdings eine Frau, die eine Burka trägt, also das Gewand, das auch das Gesicht verdeckt und nur einen kleinen Sehschlitz hat. Das löste bei mir starkes Unbehagen aus, da ich finde, dass hier höchst unsensibel und ignorant vorgegangen wird. Die Vermutung liegt nahe, dass hier schön die fremdenfeindlichen Klischees bedient werden, die auch in dem älteren der beiden Beiträge durchscheinen („Ich habe ja nichts gegen Moslems, aber …“).

Wie der Text ja selbst erwähnt, trägt die Referendarin eben KEINE Burka, sondern Kopftuch und Mantel und – einmal ganz abgesehen von der Diskussion für oder gegen Kopftuch, die ich hier nicht führen möchte – finde ich es unmöglich, wenn man so ungenau arbeitet, denn das Bild der ganzkörperverschleierten Frau mit Burka dürfte bei den meisten LeserInnen ein weit größeres Unbehagen auslösen, als das Bild einer Frau mit dem erwähnten „Kopftuch“, das ja zumindest in Großstädten wie Hamburg schon zum Straßenbild gehört.

Liebe Abendblatt-RedakteurInnen, bitte arbeitet hier sorgfältiger.

Interessant wäre es übrigens gewesen, zu wissen, was die anderen Eltern oder Großeltern so denken, denn im älteren Artikel werden nur zwei davon zitiert. Meines Wissens nach hat Dulsberg einen nicht geringen Ausländeranteil und ich kann mir vorstellen – ohne das jetzt empirisch belegen zu können – dass es vermutlich auch Eltern und SchülerInnen gab, die das anders sehen.

Überhaupt wäre es einmal interessant zu wissen, was SchülerInnen über LehrerInnen mit Kopfbedeckungen so denken. Gibt es dazu Informationen? Ich kenne immer nur die (meist ablehnenden) Reaktionen wie die im Abendblatt zitierten.

Was so auffällt in den USA

Bei jeder Reise an einen anderen (fremden) Ort fallen einem Dinge auf, über die man staunt, über die man sich wundert, die man einfach „anders“ findet. Manchmal komisch, manchmal merkwürdig, gelegentlich vollkommen unverständlich.

Peel me, I’m fat free

Während sich Arnim an der Anti-Salz-Propaganda abgearbeitet hat (überall wird vor zu hohem Salzkonsum gewarnt, da dies Herzinfarktfördernd sei), kam ich nicht über das Kopfschütteln beim Thema „low fat“ hinweg. Die Amerikaner erscheinen mir besessen von Fett, oder vielmehr besessen von weniger bis gar kein Fett. Das das i.d.R. ein Mehr an Chemie bedeutet: Egal. Ist möglicherweise keinem so recht bewußt. Oder was hat Gelatine in einem Joghurt verloren (der dafür aber „100% fat free“ ist).  Es war unmöglich, ganz normalen Joghurt zu finden. Von mir aus auch welchen mit weniger Fett („low fat“), aber ohne irgendwelche merkwürdigen Zusatzstoffe (Aromen, Gelatine, etc., etc.). Selbst im Bio-Joghurt („organic“).

Bei meiner Rückkehr war einer der ersten Käufe dann auch ein großer Becher (Bio)Joghurt der Marke A.

Noch irrer fand ich aber Aufkleber auf Bananen wie diesen:

Slimcado und noch mehr Fett-frei

Die Banane hat kein Fett, kann also bedenkenlos gegessen werden. Noch merkwürdiger fand ich die „Slimcado“ (die auch einen Aufkleber hatte, den ich mich aber nicht abzuziehen traute, da gerade ein Regalauffüller mit dem Auffüllen der Fächer direkt neben den Slimcados beschäftigt war.)

Eine kurze Recherche ergab, das die Slimcado 50 % weniger Fett als eine reguläre Avocado hat und daher 33% weniger Kalorien. Die Meinungen im Internet sind allerdings einhellig darin, dass der Geschmack dabei vollkommen auf der Strecke bleibt. Das kann ich mir nur allzu gut vorstellen. Fett ist schließlich Geschmacksträger und außerdem auch nicht per se böse.

Es kommt eher darauf an, was für Fett und wie die gesamte Mahlzeit und überhaupt die Ernährung eines Menschen zusammengesetzt sind. Während der Reise habe ich das Buch „Fast Food Nation“ von Eric Schlosser gelesen. Darin beschreibt der Autor die Entwicklung der Fast Food Industrie in den USA und den Einfluss, den die großen Nahrungsmittelkonzerne mit der Zeit im Land erlangt haben. Ziemlich gruselig. Wenn ich vorher schon kein Fan von Fast Food war, so bin ich es jetzt erst recht nicht. Nicht nur, dass einem ekliges Zeug vorgesetzt wird (die Schlachthausszenen erinnern sehr an J. S. Foers „Tiere Essen“), die Industrie steht auch für die konsequente Unterdrückung von Gewerkschaften und Mindestlöhnen (in Deutschland gibt es die „McJobs“).

Und überall: Latte to go – aber bitte mit Sahne (und einer ordentlichen Toilette dazu!)

Milch findet man auch oft nur in Form von komplett fettfreiem Wasser – oder aber als „half and half“ (Milch und Sahne) für den Kaffee. Beliebte Bestellung im Coffeeshop ist ein „latte“ mit fettfreier Milch und Sahnehaube. Und alles natürlich in riesigen Plastikbechern. Jeder zweite Fußgänger läuft mit einem Riesenbecher „iced“ coffee herum, darin Milchkaffee mit Eiswürfeln. Das ist ein super beliebtes Getränk – ein positiver Nebeneffekt der immer-und-überall-trinkenden Amerikaner ist übrigens, dass es in regelmäßigen Abständen öffentliche Toiletten gibt, die immer in Top-Zustand sind. Davon sind wir in Deutschland meilenweit entfernt. Nur mal so.

Trotz der Unmengen an Plastik setzt auch langsam ein Umdenken in Richtung Umweltschutz ein:

Auf den erwähnten Toiletten waren zumeist nur ein leidiger Handtrockner zu finden, keine Papierhandtücher. Und aus Gründen der Behindertengerechtigkeit waren die Handtrockner zumeist so niedrig angebracht, dass ich mich bücken musste. Aber immerhin beantwortet der Aufdruck vieler Geräte eine Frage, die ich mir schon seit Jahren stelle: Was ist eigentlich umweltfreundlicher, der Elektro- oder der Papiertrockner? Der Elektrotrockner, heißt es oben, da dafür keine Wälder gefällt werden und kein Müll entsteht.

Aber woher kommt eigentlich die Energie zum Betrieb des Händetrockners? Ist vielleicht jemandem eine Vergleichsrechnung bekannt? Wenn sich z.B. 100.000 Leute die Hände trocknen, einmal mit Papier, einmal mit dem Elektrotrockner, was ist wohl umweltschonender? Das wüsste ich gerne einmal! Ernst gemeint!

USA, das Land der Freien, das Land der Waffennarren

Der typische Amerikaner ist in den Augen des kultivierten Europäers ein Waffennarr. Und in der Tat fallen einem im Vorbeifahren Schilder wie dieses auf: der Lincoln Country Waffenclub lädt ein zum Ladies Day. Na, das hat sicher ordentlich geknallt.

Nicht unüblich waren auch Straßenschilder mit Einschusslöchern, oder Werbung für „Amerikas beliebteste 22 mm Waffe“ im Outdoor-Laden. Befremdlich.

Ebenso befremdlich, wenn auch mit abnehmender Tendenz, ist der Eifer, mit dem Amerikaner gerne ihre Häuser und Vorgärten schmücken. Bald ist Halloween und langsam wird aufgerüstet:

Eine riesige aufblasbare Katze, gesehen nahe Gloucester, Cape Ann, Massachusetts.

Und schließlich ist das Verhältnis zum Alkohol befremdlich. Eines Abends schlug ich angesichts des Wetters vor, Strand, Sonnenuntergang und Bier zu kombinieren, nur um im gleichen Moment resigniert zu seufzen und meinem kopfschüttelden Mann zuzustimmen: Kein Alkohol in der Öffentlichkeit. Waffen darf jeder tragen, aber wehe, man trinkt eine Dose (Light)Bier. Das wird uns Deutschen sicher niemals einleuchten.

Als wir kurz nach unserer Landung über den Alma-Wartberg-Platz in Eimsbüttel liefen und dort etwa die Hälfte der in der Sonne auf den Bänken Sitzenden Alkohol in diversen Formen neben sich stehen hatten, fragte ich mich, wie wohl ein/e Amerikaner/in diese Szene erlebt: Neugierde, Neid oder eher Verwunderung und Ablehnung? Erfahrungen irgendwer?

Aus dem Staunen heraus

Vieles habe ich bestaunt, davon vieles im positiven Sinne. Oben erwähnte ich bereits die in Vielzahl vorhandenen und stets sauberen Toiletten (und ich wette, das an dieser Stelle die ganz große Mehrheit der Leser/innen insgeheim gedacht hat „Ja, das kenne ich nur zu gut, das Ding mit den Toiletten auf Reisen“).

Die Vorgärten sind immerzu super gepflegt – und nie hinter hohen Mauern und Zäunen versteckt, alles ist offen (aber man hat auch einfach mehr Platz als im dichtbesiedelten Deutschland). (Und dafür steht manche Scheunenruine nur noch bis zum nächsten stärkeren Regenfall – warum reißt man alte Häuser nicht ab?? Immerhin sind die nur aus Sperrholz, da würde es reichen, einmal mit dem Truck dagegen zu fahren).

Aber es gibt noch unzählige weitere positive Erfahrungen: Die netten, hilfsbereiten Menschen, die meist gute Beschilderung (wir haben uns nie schlimm verfahren), Bagels (Brötchen-ähnliches Gebäck, das ein guter Brot-Ersatz darstellte), tolle Sparangebote (bleibe drei Nächte im Motel und zahle nur zwei, super Frühstück inklusive), wunderschöne Hafenstädchen in Maine und, und, und.

Eindrücke aus den USA

Es ist etwa Halbzeit unserer USA-Reise und es ist wirklich ein perfekter Urlaub. Jetzt gerade sitzen wir auf der Veranda des Cape Porpoise Motel, eines kleinen, familiär geführten Motels an der Küste von Maine und haben das großartige Frühstück mit noch warmem, selbstgebackenem Kuchen, gerade abgeschlossen. Endlich nehme ich mir nun einmal die Zeit, einige Bilder zu posten, die ich in den vergangenen 10 Tagen gemacht habe, aus New York sowie aus Massachusetts, New Hampshire und Maine.

Urlaubsstimmung kommt vor allem auch durch das Wetter – wir haben seit Tagen schönsten Sonnenschein und ich habe mir trotz Sonnencreme schon mehrmals die Nase verbrannt, aber das gehört dazu und ist nach dem ausgefallenen Sommer in Deutschland genau das Richtige.

Hier einige Fotos von unserer Reiseroute:

Das Empire State Building

Das Guggenheim Museum – von außen…

… und von innen. Faszinierende Schneckenhaus-Architektur.

Geschäftstüchtig sind sie hier: Während der zwei Tage Regenwetter in New York standen an jeder Ecke plötzlich Schirmverkäufer.

Ausschnitt eines großen Bronzereliefs zur Geschichte des Anschlags auf das World Trade Center

Noch eine super Business-Idee: Fertig geschnittene Mango am Stil – diese hier rettet mich nach einem Spaziergang über die Brooklyn Bridge bei schwül-heißem Nachmittagswetter

Lady Liberty

Seit wir mit dem Auto unterwegs sind, steuern wir mindestens einmal pro Tag „DD“ an – was sol ich sagen, man gewöhnt sich an alles und der Kaffee ist gar nicht mal so übel. Und schließlich wollen die Cupholder des Autos genutzt werden. Demnächst plane ich, den DD-Kürbiskaffee einmal zu probieren. Da hier die offizielle Herbstsaison begonnen hat, ist Kürbis nun in aller Munde. Der Kürbismuffin von neulich war auch ziemlich lecker. Und heut morgen hatte ich Kürbiscornflakes zum Frühstück.

Hier werden Plastikflaschen als umweltfreundlich verkauft, weil sie eine kleine Kappe (natürlich aus Plastik) haben. Irre. Man kommt hier leider nicht umhin, Unmengen Müll zu produzieren, da alles im Einweggeschirr serviert wird, auch in etwas besseren Cafés. Recht bald hat man sein anfangs schlechtes Gewissen abgelegt, und nimmt sogar die Supermarkt-Plastiktüten dankend an, schließlich braucht man Mülltüten für den unterwegs im Auto produzierten Müll.

Am 11. September wehten viele Flaggen auf Halbmast.

„Live Free or Die“ – das Motto des Staates New Hampshire

Mit der „Mayflower“ (hier der originalgetreue Nachbau „Mayflower II“) kamen 102 Pilger Anfang des 17. Jahrhunderts auf Cape Cod an und gründeten die erste Siedlung in Neuengland, Plymouth Plantation im heutigen Plymouth.

In Portland, Maine, steht ein Stück Berliner Mauer.

Für alles gibt es Automaten – ein Pizzaautomat…

 

Happy Birthday, Südsudan


                                 Quelle: Wikipedia

Seit heute nacht um 0 Uhr gibt es einen neuen Staat auf der Erde: Südsudan. Er ist das 54. Land Afrikas und der 193. Staat der Erde.

Noch wird in Juba, der Hauptstadt, gefeiert, allerdings dürfte die Durststrecke nach den Festtagen unerträglich lang werden, zu wenig von allem gibt es im Staat. Keine befestigten Straßen, keine funktionierende Verwaltung, kaum Schulen, keine Strom- und Wasserversorgung, und, und, und.

Außerdem schwelt der Konflikt mit dem Norden weiter; Nord- und Südsudan befanden sich seit 1956 fast durchgängig miteinander im Krieg. Seit 2005 herrscht wieder Frieden, aber es gibt weiterhin einige ungeklärte Angelegenheiten. Eine betrifft die Staatsgrenze, die an manchen Orten noch strittig ist. Und es ist noch nicht geklärt, wie die Einnahmen aus den Ölvorräten, die zumeist auf dem Gebiet des Südens liegen, aber momentan nur über Pipelines, die durch den Norden führen, aufgeteilt werden.

Gewalt und Konflikte prägen nach wie vor den Alltag der Menschen. Die Anzahl der durch Kriegserlebnisse traumatisierter Menschen dürfte sehr hoch sein und viele  kennen nur den Krieg. Auch befindet sich eine große Zahl Waffen im Umlauf, die AK 47 ist hier, wie auch in anderen Ländern der Region mittlerweile ein beliebter „Konfliktlöser“.  Harmloser Streit eskaliert blitzschnell. Einer meiner früheren Kollegen erzählte mir bei meinem Besuch in Juba im Mai, dass Auseinandersetzungen zwischen Kollegen schnell ausarten und es sehr schwierig ist, in diesem Umfeld zu arbeiten.

Schon jetzt bekämpfen einige Milizen die Regierung und es ist möglich, dass weitere Konflikte im Innern entstehen werden, immerhin scheint der gemeinsame Feind im Norden derzeit nicht mehr die einende Funktion, die er bisher inne hatte, zu haben. Man wird sehen.

Viele Menschen, die den Südsudan während des letzten Bürgerkrieges verlassen hatten, sind in die Nachbarländer oder den Nordsudan geflohen. Seit dem Friedensschluss 2005 kehren immer mehr in ihre Heimat zurück. Dies hat konkrete Folgen im Alltag. Arbeitgeber müssen z.B. immer darauf achten, dass sie eine Balance zwischen „Heimkehrern“ und „Dagebliebenen“ wahren, da es andernfalls zu Missgunst unter den Kollegen kommen könnte.

Sehr viele Menschen sind nie zur Schule gegangen und viele Kinder haben immer noch keine Möglichkeit dazu.

Immerhin gibt es jetzt eine neue Nationalhymmne, eine neue Flagge, eigene Passdokumente und auch eine eigene Währung wird bald eingeführt, das südsudanesische Pfund.

Das ZDF hat einen interessanten Beitrag zum Thema gebracht und Arne Perras hat einen guten Artikel für die SZ geschrieben.

Und hier gibt es schöne Bilder von der BBC zum Thema „Kuh-Land Südsudan“, Kühe sind die wichtigste und weitverbreitetste Währung der Südsudaneseb.

In the air with Riek Machar

Das Flughafengebäude von Juba – zur Zeit eher eine Baracke. Aber daneben wird schon mit Hochdruck am neuen Juba International Airport gebaut.

Ein Grund, zu Reisen ist für mich immer, schöne Anekdoten mit zurück zu bringen. Eine Anekdote wert ist die Prozedur am Flughafen Juba von der Ankunft bis zum schlussendlichen Abflug. Wäre ich alleine gewesen, es hätte mich sicher eine Menge Nerven gekostet. Zum Glück hatte ich jedoch den Plan-Fahrer dabei, der mich durch die Formalia, die vor dem Abflug notwendig sind, mit geübter Routine durchschleuste.

Zunächst wollte man mich nicht ins Gebäude lassen, da der Schalter von Jetlink Express, mit denen ich nach Nairobi fliegen würde, noch nicht geöffnet sei. Ein wenig Überzeugungsarbeit des Fahrers halfen, uns beiden dennoch Einlass zu gewähren. Die Sicherheitskontrolle passierten mein Gepäck und ich dann anstandslos. Danach geleitete mich der Fahrer zum noch nicht geöffneten Schalter, der, da noch geschlossen, nicht als Jetlink-Schalter zu erkennen war, da keine entsprechenden Schilder aushingen.

Er meinte, ich solle hier in der Reihe warten, während der die Ausreiseformalitäten erledigte. Dazu nahm er meinen Pass an sich. Kurz durchzuckte es mich „was wäre wenn…“ ach was, und tatäsächlich kam er kurze Zeit später zurück und reichte mir ein Formular, was ich zur Ausreise ausfüllen musste. Danach brachte er mich zum entsprechenden Schalter, an dem man eine Gebühr entrichten musste und an dem mein Visum und mein Pass kopiert wurden.

Einmal mehr fragte ich mich, was wohl mit all diesen Dokumenten geschieht. In allen afrikanischen Ländern, die ich bisher bereist habe, muss man beim Einreisen und beim Verlassen des Landes ein entsprechendes Formular ausfüllen. Werden die wirklich alle geordnet und aufbewahrt? Das frage ich mich seit Jahren schon.

Zurück nach Juba: Nachdem ich das Ausreiseformular ausgefüllt und der Fahrer die Gebühr von 6 Pfund dafür entrichtet hatte (ich hatte keine sudanesischen Pfund mit, US-Dollar wurden hier nicht akzeptiert, aber der Fahrer versicherte mir, er könne sich die Gebühr im Büro rückerstatten lassen), ging es zum nächsten Schalter. Wie schon beim ersten herrschte hier riesiges Gedränge. Wer den längsten Arm oder die breitesten Schultern hat, gewinnt.

Hier musste ich 45 US-Dollar (bei größeren Beträgen ist Fremdwährung eher willkommen) zahlen und bekam meine Ausreisestempel. Dann ging es wieder zurück in die Jetlink Express-Schlange, wo sich der Fahrer von mir verabschiedete. Erleichtert dachte ich, dass ich das alleine wesentlich langsamer hätte erledigen können.

Kurz darauf öffnete der Check-in. Kurze Atempause, als der Mann vor mir in der Schlage feststellen musste, dass er nicht auf der Passagierliste stand, obwohl er am Vortag telefonisch umgebucht hatte. Erleichterung, als der Airline-Angestellte kurze Zeit später meinen Namen in der Liste abhakte. Danach weiter zur Handgepäckkontrolle. Eine Frau schaute kurz in alle Fächer meines Rucksackes. Und beanstandete auch nicht die darin enthaltene Wasserflasche.

Anscheinend verlassen alle Flüge nach Nairobi, Addis und Kampala im 5-Minuten-Takt Juba, zumindest verließen noch vier weitere Flüge kurz vor meinem die Stadt. Die Passagiere wurden der Reihe nach aufgerufen, erst Flug 1, dann Flug 2, und so weiter. Unser Flug war der Letzte. Alle demnächst abfliegenden Flugzeuge standen auf dem Rollfeld und jede/r ging zu dem seiner Airline. Verwechslungsgefahr inklusive, schätze ich mal.

Das Jetlink-Flugzeug stand relativ weit hinten, vor dem Einsteigen musste jeder Passagier noch sein Gepäckstück identifizieren, bevor es im Laderaum verstaut wurde. Schließlich saßen alle Passagiere (bis auf zwei Reihen ganz vorne gab es keine freien Plätze mehr) und ein Flugzeug nach dem anderen rollte zur Startbahn und hob ab. Nur unseres nicht. Die Passagiere ertrugen die halbstündige Verspätung ohne Murren, auch wenn ich langsam unruhig wurde. Mir fehlt es einfach an der afrikanischen Gelassenheit. Innerlich zumindest, äußerlich verhielt mich mich ganz gelassen – schicksalsergeben eben.

Plötzlich fuhren drei neue Landrover vor, einer mit verspiegelten Scheiben und eine Gruppe Männer betrat das Flugzeug. „The vice president“ flüsterte es um mich herum und ich nahm zunächst an, dass Salva Kiir, der sudanesische Vizepräsident und demnächst süd-sudanesische Präsident, an Bord gekommen war. Der „Vice President“ (späteres Googeln ergab übrigens, dass es sich um den süd-sudanesischen Vize Riek Machar, auch keine unbekannte Figur für diejenigen, die sich ein wenig mit dem letzten Bürgerkrieg beschäftigt haben, handelte).

Machar wandte sich uns Wartenden zu und rief einmal quer durchs Flugzeug, dass er sich für die Verspätung entschuldige. Nun ja, eine Anekdote war’s wert.

Flugzeuge auf dem Rollfeld in Juba, zum Einsteigen bereit. Alle zur gleichen Zeit, versteht sich.

Nachgereicht: So war’s im Süd-Sudan

Jetzt bin ich schon über zwei Wochen zurück und habe noch nicht, wie zuvor versprochen, über den Süd-Sudan berichtet.

Süd-Sudan, krasse Erfahrung war das. Selten habe ich während einer Reise so oft gedacht „Zum Glück muss ich das so bald nicht wieder machen.“ Aber gleichzeitig war ich auch öfters ein wenig wehmütig, da dies vermutlich meine letzte Afrika-Reise für dieses Jahr gewesen sein wird.

Der Süden des Sudan befand sich über Jahrzehnte im Bürgerkrieg mit dem Norden. Wer sich im Detail dafür interessiert, der findet hier den entsprechende Wikipedia-Eintrag.

Laut der Hilfsorganisationen-Terminologie befindet sich der Süd-Sudan inzwischen in der Phase des Wiederaufbaus  (reconstruction), was ein süd-sudanesischer Kollege folgendermaßen kommentierte: „Welcher Wiederaufbau? Hier wurden nie irgendwelche Strukturen aufgebaut, daher muss hier komplett von vorne begonnen werden, hier kann nichts „wieder“ aufgebaut werden.“

Das Land wird, nach der Unabhängigkeit, die am 9.7. dieses Jahres gefeiert werden wird, einen sehr, sehr langen Weg vor sich haben, bis auch nur einige der Ziele („Entwicklung“, höherer Lebensstandard für die Bevölkerung, verbesserte sanitäre Versorgung, etc.) erreicht sein werden. In vielen Medienberichten während der Zeit des Referendums war zu lesen, dass das Land insgesamt nur über 70 km geteerter Straßen verfügt. Vermutlich stimmt das auch, nur einige Straßen in und nahe bei Juba, der Hauptstadt, waren geteert, der Rest war Staub- und Schlaglochpiste. Die Hauptverkehrswege von Juba Richtung Süden schienen recht gut befestigt zu sein, wir waren einen halben Tag jedoch auf Nebenstrecken unterwegs, die nach mehrtägigen Regenfällen längere Zeit unpassierbar sein dürften.

Mir ist aufgefallen, dass in den ländlichen Gegenden so gut wie keine Steinhäuser stehen; wenn doch, sind es zumeist neue Verwaltungsgebäude (ich habe mich sicherheitshalber an das strenge Fotografieverbot gehalten), neue Schulgebäude (von NGOs erbaut) oder die Büros von Hilfsorganisationen. Sonst sieht man fast ausschließlich Lehmhütten. Das kenne ich nicht aus dem Nachbarländern, die ich bisher bereist habe.

Es muss eine vollkommen neue Verwaltungsstruktur aufgebaut werden, und das in einer Gesellschaft, die nach Jahrzehnten des Krieges keine Strukturen gewohnt ist. Spürbar ist das auch in der täglichen Arbeit. Viele Vorgänge benötigen viel mehr Zeit als sonst, selbst einfache Arbeitsabläufe sind nicht routiniert (bei Plan gibt es z.B. viele standardisierte Vorgehensweisen rund um Besuche aus dem Ausland, das lief hier weniger reibungslos ab als anderswo) – aber es ist auch mehr als verständlich, dass es hier einfach Zeit und Übung bedarf, bis sich die Dinge eingespielt haben werden.

Man fragt die Menschen natürlich nicht direkt nach ihren Erlebnissen im Krieg, aber man kann vermuten, dass viele, denen man im Lauf seines Aufenthaltes begegnet, Schreckliches erlebt und mit angesehen haben müssen. Nicht alle haben den Krieg im eigenen Land erlebt, viele sind in den Norden oder in Nachbarländer geflohen, nicht wenige  dort in Flüchtlingslagern zur Welt gekommen und nun zurückgekehrt, um am Neuanfang im Süden mitzuwirken. Ein Kollege erzählte mir, dass das Gewaltpotenzial unter den Menschen sehr hoch ist, selbst Konflikte unter Kollegen arten gelegentlich gefährlich aus. Eine weitere Herausforderung in diesem Arbeitsumfeld.

Ich hatte jedoch den Eindruck, dass eine besondere Aufbruchstimmung unter den Menschen herrscht, viele freuen sich derzeit auf dem Unabhängigkeitstag am 9.7., der ein Neuanfang für das Land sein wird. Der Sudan bezieht einen Großteil seiner Einnahmen aus dem Export von Öl. Öl, dass zum größten Teil in Regionen gefördert wird, die zum Süden gehören. Eine erste Herausforderung des Süd-Sudan sowie der Beziehung des künftigen neuen Staates zum Nord-Sudan wird sein, die Ölförderung und die Verteilung der Einnahmen neu aufzuteilen. Das Öl wird über Pipelines, die nach Norden verlaufen, exportiert, was bedeutet, dass die Staaten hier kooperieren und Kompromisse finden müssen. Vermutlich eine gr0ße Herausforderung.

Vielleicht noch kurz zu meinem Besuch: Ich war die meiste Zeit im Büro in Juba, da wir gemeinsam einen Bericht erstellen mussten sowie uns mit Geberrichtlinen beschäftigt haben. Ja, zu unseren Jobs gehört eine Menge Schreibtischarbeit… für anderthalb Tage besuchten wir dann einige Projektstandorte – eigentlich nur zwei, es waren mehr geplant, aber dazu kam es nicht, weil:

– wir mit mehrstündiger Verspätung aus Juba aufbrachen (eine Mitfahrerin hing in einem anderen Termin fest; wir mussten Essen und Trinken für die Fahrt besorgen; nebenbei erfuhr ich, dass wir über Nacht bleiben würden und musste noch meine Zahnbürste aus dem Hotel holen; auf halbem Weg aus der Stadt merkte der Fahrer (der mit dem Fahrzeug „gemietet“ worden war und nicht zu Plan gehörte), dass er keinen Sprit mehr im Tank hatte, was ein sehr umständliches Hin- und Her wegen nicht vorhandener Tankkarte, die erst besorgt werden musste…. bedeutete)

– nach der Übernachtung in Yei am nächsten Morgen das Auto nicht mehr ansprang und wir (zwei Gruppen zu je drei Leuten, die zu unterschiedlichen Terminen mussten) nach einiger Zeit ein Ersatzfahrzeug, ein ganz normales Taxi, auftrieben, das dann unsere Gruppe in einem Ort absetzte, die anderen zu ihrem knapp eine halbte Stunde entfernten Termin bringen und uns dann wieder abholen sollte. Das Taxi kam jedoch erst nach über drei (!) Stunden wieder, da der Fahrer inzwischen noch weitere zahlende Kunden woandershin gebracht hatte. Klar, kein Business darf ausgelassen werden. Wir warteten, nachdem unser Termin (uns bei der Distriktverwaltung vorstellen und schauen, welche Brunnen in der näheren Umgebung Instant gesetzt werden sollen), nach 30 Minuten zu Ende war, wir warteten also für über drei Stunden auf die Rückkehr des Taxis. Immerhin kam es noch.

– Mir nach dem Mittagessen plötzlich total übel wurde und ich schnellstens eine Latrine aufsuchen musste. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen fängt man sich unterwegs doch immer mal wieder etwas ein.

– Wir den Nachmittag dann in sehr unwegsamem Gelände unterwegs waren, was zugegebenermaßen mit zu den interessantesten Episoden der Reise gehörte – aber auch zu den gefährlichsten. Für westliche Afrika-Reisede stellen ja keineswegs Krankheiten das größte Todesrisiko dar, sondern der dortige Verkehr. Anders als am Tag zuvor waren wir diesmal mit einem Plan-Fahrer unterwegs und noch dazu mit einem, der sein Auto absolut beherrschte. Was auch unser Glück war, denn auf der einspurigen, sehr unübersichtlichen Piste kam uns einmal ein Pick-up mit sehr hoher Geschwindigkeit entgegen, der um ein Haar (und viel mehr war es wirklich nicht) frontal auf uns draufgeprallt wäre. Ich saß auf dem Beifahrersitz. Unser Fahrer konnte leicht nach rechts ausweichen, wo zum Glück kein Baum stand, der Fahrer des Pick-up konnte ebenfalls ausweichen, hätte sich fast noch überschlagen. Da atmet mal einmal ganz tief ein und wieder aus.

So ist das, wenn man in Afrika unterwegs ist. Und irgendwie immer wieder schön, trotz der Anstrengung und den manchmal nicht ganz ungefährlichen Verkehrsepisoden. Aber alles in allem überwiegt die Freude, Neues zu sehen und andere Welten kennenzulernen, diesmal immerhin das demnächst jüngste Land der Erde.

Kulinarisch kann ich übrigens keine neuen Erkenntnisse beitragen. Das Nationalgericht im Süd-Sudan ist Doura, eine Art Hirsebrei. Ich habe mich an gebratenen Fisch, gegrilltes Huhn und Kartoffeln gehalten, das war auch ganz lecker.

Hier einige Bilder. Wie immer habe ich wenig fotografiert, da ich es nicht mag, Menschen, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen, mit der Kamera zu begegnen.

Blick vom Hotel in Yei auf einige Hütten nebenan. So sehen die Hütten in den ländlichen Gebieten auch aus.

Blick vom Hotel in Yei auf eine Straßenszene.

Mein Zimmer im „Twins Hotel“ in Yei. Falls mal jemand dort übernachten sollte: Kann man weiterempfehlen. Ich hatte sogar fließendes Wasser im Zimmer!

Auf Afrikas Straßen staubt es: Schaum aus meinen Haaren nach drei Stunden Autofahrt von Juba nach Yei.

 

Warten aufs Taxi: Hier, nahe bei einigen Mango-Bäumen, saßen wir im Schatten und warteten auf die Rückkehr unseres Taxis, das uns zum nächst größeren Ort bringen sollte.

Mein Zimmer im „Holiday Hotel“ in Juba: Die beste Internet-Verbindung, die ich je in Afrika hatte. Und die Küche ist auch nicht schlecht.

Das fällt positiv auf: Hier hat UNFPA ganze Arbeit geleistet – Kondom-Packung im Twins-Hotel.

Ins Land, das es noch gar nicht gibt

Morgen abend geht’s los, in ein Land, das es offiziell noch gar nicht gibt: Süd-Sudan.

Nach über zwanzigjährigem Bürgerkrieg, der 2005 mit einem Friedensvertrag endete, haben die Einwohner der Südens im Januar dieses Jahres dafür gestimmt, sich vom Rest des Sudan zu lösen und ein eigenständiger Staat zu werden.

Seit 2005 hat der Süden Autonomiestatus und dementsprechend die autonome Regierung des Süd-Sudan (GOSS), die auch Visa ausgibt. Kurz vor Knapp habe ich meines gestern erhalten (großes Dankeschön an die Kolleginnen aus Nairobi, die sich darum gekümmert haben) und bin gespannt, wie die kommende Woche wird. Ich würde lügen, schriebe ich, dass ich vollkommen entspannt losfliege – andererseits bin ich schon sehr neugierig auf das, was mich wohl erwartet. Und am kommenden Freitag geht es auch schon wieder zurück, besonders viel Zeit werde ich also gar nicht vor Ort verbringen.

Je nach Strom- und Internetbedingungen werde ich mich hier natürlich von unterwegs melden, ansonsten folgt übernächste Woche Neues aus dem Süd-Sudan.

Die Straße von Addis nach Awassa

Die Strecke von Addis Abeba nach Awassa beträgt gut 250 km und man braucht je nach Verkehrsaufkommen zwischen vier und fünf Stunden. Um diese Jahreszeit ist Addis staubig und von einer Dunstglocke bedeckt, die Fahrt über habe ich Kratzen im Hals vom Staub und den Abgasen der anderen Verkehrsteilnehmer, vor allem der vielen LKWs. Die meisten müssen schon Jahrzehnte alt sein.

An den Ausläufern von Addis sind viele Industriebetriebe angesiedelt, hier geht die Stadt langsam in das Ländliche über und zu meiner Überraschung teilen plötzlich Pferde- und Eselskarren die Straße mit den anderen Verkehrsteilnehmern. Je weiter wir nach Süden fahren, desto mehr dieser Karren teilen sich die Straße mit den anderen Verkehrsteilnehmern. Hier als Autofahrer unterwegs zu sein erfordert höchste Aufmerksamkeit, denn neben den Karren, die zwar beim Hupen meist auf den Seitenstreifen ausweichen, aber deren Last nicht selten dennoch weit auf die Fahrspur auslädt, laufen Fußgänger plötzlich auf die Straße, Radfahrer und Motorradtaxis vollführen unerwartete Wendungen und Tiere kreuzen die Straße, einzeln oder in Herden. Dies sind zumeist Ziegen, Kühe und auch Esel, die hier als Zug- und Lasttiere arbeiten. Heu, Kohle, Wasser, es gibt nichts, was die grauen Tiere nicht schicksalsergeben ziehen oder tragen würden.

Immer wieder halten wir an, um einer Handvoll oder einem Dutzend Tiere die Überquerung zu ermöglichen und ich frage mich, wie oft es wohl passiert, dass ein Auto oder LKW in eine Herde hinein rast. Und welchen Ärger dies wohl mit den Besitzern, bzw. denjenigen, welche die Herde hüten, geben mag. Vielleicht aber sind die hiesigen Fahrer auch zu gut auf den Viehwechsel eingestellt, so dass keine Unfälle dieser Art passieren. Ich habe vergessen den Fahrer danach zu fragen.

Hinter Addis beginnt bald das Great Rift Valley. Es ist Trockenzeit und weite Teile der Ernte sind eingefahren; überall sieht man gelbe, trockene, abgeerntete Felder und zu großen Mieten aufgeschichtete Teff-Garben. Zum Teil sieht man Männer beim Dreschen. Dies geschieht in Handarbeit oder aber mit einer Handvoll Kühe, die nebeneinander gebunden und im Kreis über das am Boden liegende Getreide getrieben werden, so lange, bis die Ähren leer sind. Vereinzelt sieht man auch Mähdrescher, doch zuallermeist ist die Ernte harte Handarbeit.

Immer wieder kommen wir an Wasserstellen vorbei, an denen die Menschen sich in einer langen Schlange aufgereiht haben und warten, bis sie ihre gelben Kanister füllen können. Die gefüllten Behälter transportieren sie oft mit Eseln zu ihren Häusern. Eines der typischen Bilder aus Afrika: Frauen und Kinder tragen Wasserbehälter, laufen weite Wege, stehen am Brunnen an.

Das Great Rift Valley wird bald zu einer großen Ebene mit weiten Flächen, nur am dunstigen Horizont kann man Bergketten erahnen. Ab und zu glänzt die Oberfläche eines der vielen Seen in der Ferne. Am Straßenrand gibt es Abschnitte, auf denen lokale Produkte angeboten werden, einmal gibt es rote Zwiebeln, in Mieten entlang der Straße angeboten, ein andermal Tomaten, und noch einmal später Kohl. Meine äthiopischen Kollegen werden sich auf der Rückreise mit großen Mengen davon eindecken, da man das Gemüse hier zum halben Preis im Vergleicht zur Stadt kaufen kann.

Unterwegs machen wir Kaffee-Pause. Der Kaffee wird hier in kleinen Tassen gereicht, stark und schwarz mit Zucker. Alle atmen noch einmal durch, dann steigen wir ins Auto und fahren weiter. Zwei Drittel der Strecke liegen noch vor uns.

Etwa bis zur Hälfte der Straße Richtung Awassa säumen immer wieder riesige Gewächshausanlagen den Weg. Vor allem holländische Firmen bauen hier Schnittblumen an und es scheint ein boomendes Geschäft zu sein, der Größe der Anlagen nach zu urteilen und der Tatsache, dass immer noch weitere gebaut werden. Das überrascht mich, da ich immer dachte, diese Anlagen gäbe es nur in Kenia, doch hier stehen sie auch und nicht zu knapp. Immer wieder sieht man Gruppen von Menschen hinter den Zäunen, die die Anlagen einfassen und ich frage mich, was wohl die Menschen von den Anlagen denken. Sie verdienen ihr Geld dort und sind wohl froh über diese Möglichkeit. Aber spüren sie auch die Umweltbeeinträchtigungen, die zweifelsohne davon ausgehen müssen? Irgendwo her muss ja das Wasser kommen. Und was denken sie wohl, für wen diese vielen Blumen geerntet werden? Wieder Fragen über Fragen, die ich nicht gestellt habe. Aber ich habe auch niemanden getroffen, der in einer solchen Anlage arbeitet.

Kurz vor Awassa wird das Land wieder hügeliger und grüner. Große, zum Teil abgeerntete Maisfelder liegen entlang der Straße und dann taucht rechts der Awassa-See auf. Hier passiert man die Grenze zwischen den Regionen Oromiya und SNNPR (Southern Nations’, Nationalities’ and People’s Region); Awassa ist die Hauptstadt der letzteren.

Awassa macht einen wesentlich ruhigeren Eindruck als Addis. Die Straßen sind sehr breit, nur zum Teil geteert, und die Gebäude meist nur wenige Stockwerke hoch. Es gibt eine Universität, viele Geschäfte und, wie in Addis, viele Rohbauten für Hotels und Shopping-Zentren. Die Moderne kommt auch hier an. Und warum auch nicht. Das afrikanische Dorf mit Schule unter dem Baum wird zunehmend Teil der Vergangenheit, und das zu bewerten überlasse ich anderen.

Mein Hotel heißt „Tadesse Enjory“ und hier verbringe ich die erste wirklich erholsame Nacht in Äthiopien. Mein Zimmer hat einen Fernseher, Strom, warmes Wasser, unglaublich luxuriös. Zudem reicht das WLAN der Hotelbar bis zu meinem Zimmer. Was für mich zu Hause so selbstverständlich ist, habe ich auch beim Reisen gerne um mich; ich merke wie bequem ich geworden bin. Ein wenig schade ist das schon, so fehlt dem Reisen etwas das Abenteuerliche, andererseits bin ich nach fünf Stunden auf einer staubigen Straße und dem anschließenden Besuch in zwei Dörfern unglaublich froh über die heiße Dusche sowie über das Internet, denn da kann ich über Skype mit zu Hause sprechen und deutsche Nachrichten lesen. Es siegt die Bequemlichkeit über das Bedürfnis nach Abenteuer.

Mein Besuch im Projektgebiet führt mich in die Stadt Leku, die Hauptstadt des Distriktes Shebedino sowie in einige Dörfer der Umgebung. Auch wenn der Besuch kurz ist, gibt er mir doch einen Eindruck von der Lebenswelt der hier hauptsächlich lebenden Sidama. Plan führt in dieser Gegend unter anderem ein Programm zur Ernährungssicherung durch. Hier auf dem Land wird ein großes Problem Äthiopiens sichtbar: das starke Bevölkerungswachstum. Überall ist das Land besiedelt, es scheint kaum größere freie Flächen zu geben. Land, ohnehin knapp, wird unter den Söhnen geteilt, so hat jede Generation immer noch weniger Ackerland und dementsprechend Nahrungsmittel zur Verfügung. Plan führt neue Anbaumethoden und Pflanzen ein, wie zum Beispiel die Süßkartoffel, die im Mai geerntet werden kann, wenn die Nahrungsmittelknappheit besonders schlimm ist. Auch den Gemüseanbau fördert Plan. Bisher haben viele Menschen kaum Gemüse angebaut. Plan unterstützt die Menschen beim Anlegen von Gemüsegärten, damit das Gemüse hinterher auf den Märkten der Umgebung verkauft werden kann. Angebaut werden Kartoffeln, Kohl und Paprika.

Auf dem Land bin ich immer lieber als in der Stadt; hier geht es ruhiger zu und man erfährt mehr darüber, wie die Menschen leben. Auch wenn es nur ein kurzer Eindruck, wie ein schneller Blick durch das Schlüsselloch ist, so ist es doch wieder ein kleines Mosaiksteinchen, dass ich meinem Bild von Afrika und meinem Bild von der Welt hinzufügen kann.

18.12.2010