Afrika, EZ
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Nachlese: Film und Podiumsdiskussion zu „Süßes Gift – Hilfe als Geschäft“

Podium 3 Kopie

Chinta Musundi-Beez, Heinrich Bergstresser, Dr. Linda Kleemann, Dr. Emmanuel Noglo (v.l.) (Foto: C. Grauer)

 

Da soll nochmal jemand sagen, EZ sei ein Thema, das keine/n interessiere – zumindest trifft das nicht auf Lüneburg zu. Fast ausverkauft waren die 95 Plätze im Scala Kino, als am 5. Juni zunächst Peter Hellers Doku „Süßes Gift – Hilfe als Geschäft“ gezeigt und in einer anschließenden Podiumsdiskussion der Frage nachgegangen wurde, wie Menschen aus den Ländern Afrikas die westliche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sehen.

Das Podium war mit Chinta Musundi-Beez, Ethnologin aus Kenia, jetzt in Bremen lebend, Dr. Linda Kleemann, Ökonomin am IFW Kiel und Dr. Emmanuel Noglo, Bildungsreferent der Norddeutschen Mission in Bremen und geboren in Togo, klasse besetzt und wurde vom Journalisten und Autor Heinrich Bergstresser gekonnt moderiert.

Hilfe abschaffen

Unser Ziel als Organisationsteam war, den recht einseitig kritischen Blick des Films auf die EZ mit einer Diskussion differenzierter zu beleuchten und das ist bestens gelungen. Die Teilnehmenden hatten ganz unterschiedliche Sichtweisen auf EZ. So plädierte Chinta Musundi-Beez für eine Abschaffung der EZ. Diese führe nur dazu, dass Menschen aus Ländern Afrikas in den Geberländern als passiv und hilfsbedürftig dargestellt würden, was nicht der Realität entspricht. Besser wären ausländische Investitionen in die lokale Wirtschaft und die Unterstützung lokaler Lösungen und Expertise.

Rechenschaftspflicht auf allen Ebenen ist notwendig – aber fehlt

Dr. Emmanuel Noglo fand den Ansatz, EZ ganz zu beenden, zumindest mittelfristig nicht praktikabel, ist aber ebenfalls der Ansicht, dass sich vieles im bestehenden System ändern sollte. Etwa die Tatsache, dass auf vielen Ebenen die Rechenschaftspflicht fehlt. So legen vielfach politische Eliten in Partnerländern der EZ keine Rechenschaft gegenüber ihren Gesellschaften ab. Aber auch EZ-Organisationen stehlen sich hier meist aus der Pflicht. Er brachte das Beispiel Togo, wo 855 NGOs registriert sind, deren Arbeit niemand kontrolliert.

„Africa rising“: Wachstum, aber woher?

Anders als der Film, so der Moderator, könne man sagen, dass die meisten Menschen in heutigen afrikanischen Gesellschaften nach vorne schauen. Selbst internationale Medien haben ihren Diskurs von einem weit verbreiteten Afro-Pessimismus in den letzten Jahren zum Positiven hin verändert. „Africa rising“ ist keine seltene Schlagzeile mehr. Dr. Linda Kleemann relativierte die Sicht auf „rising“ im Sinne eines Wirtschaftswachstums allerdings, da dies in vielen Fällen auf der Extraktion von Rohstoffen beruht , wovon wenig in den Auf- und Ausbau staatlicher und gesellschaftlicher Einrichtungen reinvestiert wird.

EZ – ein Auslaufmodell?

Trotz verschiedener Ansichten waren sich alle Beteiligten einig, dass sich in den kommenden Jahren vieles ändern wird, bzw. dies bereits geschieht, ohne dass es besonders in westlichen Medien und dem EZ-Diskurs wahrgenommen würde. Der Telekommunikationssektor boomt in vielen Ländern Afrikas, schafft Arbeitsplätze und neue Möglichkeiten, ganz ohne Zutun der EZ. Bildung ist vielen Menschen wichtig und insbesondere jüngere Menschen sind zunehmend der Ansicht, dass die bisherige EZ eine Sache der Alten ist, die sie so nicht weiterführen wollen.

Die Schwarz-Weiß-Malerei und -Rhetorik der Hilfsindustrie mag in den Ländern des Nordens noch lange nachwirken, in den betroffenen (Partner)Ländern sind die Menschen jedoch zunehmend unzufrieden und auch nicht davon überzeugt, dass EZ zur Lösung von Problemen beitragen kann, allenfalls in lokal begrenztem Rahmen.

Mit Sicherheit werden die kommenden Jahre also große Veränderungen auch innerhalb des bestehenden EZ-Systems verlangen, auch wenn diese nur langsam vorangehen. Denn, wie auch die DiskutantInnen bemerkten, Hilfe ist ein Geschäft, besteht aus einer riesigen Industrie, von der in nicht unwesentlichem Ausmaß westliche ExpertInnen profitieren, weswegen Änderungen nur allmählich erfolgen. Mit Sicherheit aber werden sie immer dringender notwendig werden.

Das Kleingedruckte

Veranstalter war der Lüneburger Arbeitskreis Nord-Süd Entwicklungszusammenarbeit und ich war mit wesentlichen Aufgaben der Organisation befasst. Die Veranstaltung wurde freundlicherweise von Engagement Global (Aktionsgruppenprogramm) sowie vom Programm „Bildung trifft Entwicklung“ und der Norddeutschen Mission gefördert. Auch gilt ein herzlicher Dank dem Scala Kino für die freundliche Kooperation.

 

 

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