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Entwicklung – aber freiwillig. Welchen Beitrag zur EZ können Freiwilligendienste leisten?

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Quelle: Flickr (user: San José Library)

 

Unter dem Titel „Entwicklung, aber freiwillig“ hat das von mir im WS 2014/15 geleitete Projektseminar „A development story“ ein Seminarplenum im Rahmen der Leuphana Konferenzwoche 2015 organisiert. Zusammen mit den Gästen Chinta Musundi-Beez (Ethnologin, Bremen) und Bernhard Kühn (Geschäftsführer volunta (DRK)) sind wir dabei der Frage nachgegangen, welchen Beitrag Freiwillige und Freiwilligendienste im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit leisten und leisten können.

Vorab: Unter den ca. 50 Teilnehmenden entspann sich sehr schnell eine engagierte und konstruktive Diskussion, die teils kontrovers, aber stets respektvoll geführt wurde. Viele berichteten aus eigenen Freiwilligenerfahrungen, die sie etwa mit weltwärts, kirchlichen Partnerschaften oder auch als Au pair gemacht hatten. Im Folgenden möchte ich gerne einige wesentliche Punkte aufschreiben, die ich für wichtig halte in der Diskussion um Freiwilligendienste.

Eingangs positionierten sich die Gäste zum Thema der Diskussion. Chinta Musundi-Beez, gebürtige Kenianerin, äußerte sich kritisch über Freiwilligendienste, da sie den Beitrag, den Freiwillige zum Beispiel in Kenia im Bereich der Entwicklung leisten, für nicht relevant hält. Ihrer Meinung nach sollte ein Freiwilligendienst unter „Kulturaustausch“ laufen, und kann nicht den Anspruch haben, entwicklungspolitisch wirksam zu sein.

Bernhard Kühn widersprach dem nicht grundsätzlich, auch er betonte im weiteren Verlauf der Diskussion, dass er nicht davon überzeugt ist, dass Freiwilligendienste einen Beitrag im Rahmen der EZ leisten können. Gleichzeitig betonte er, dass Freiwilligendienste eine große Chance für die Teilnehmenden sind, mehr über andere Gesellschaften zu lernen und somit auch innerhalb der Gesellschaft im Entsendeland eine positive Wirkung entfalten.

Hier einige wesentliche Diskussionsergebnisse

Wovon sprechen wir?

Freiwilligendienst ist nicht gleich Freiwilligendienst. Da unser Seminar sich mit dem Zusammenhang zwischen Entwicklung und Entwicklungszusammenarbeit (EZ) beschäftigte, zielte die Diskussion v.a. auf solche Dienste ab, die Freiwillige für entwicklungspolitisches Engagement entsenden. In Deutschland ist Weltwärts der bekannteste Dienst, über den auch einige der Anwesenden ausgereist sind. Weiterhin gibt es auch eine Reihe kirchlicher oder privater Anbieter.

Welchen konkreten Beitrag können Freiwillige leisten?

Einig waren sich die meisten darin, dass Freiwillige, insbesondere wenn sie „nur“ Abitur (oder einen anderen Schulabschluss) haben und noch keine Ausbildung, meist wenig vor Ort leisten können.

Manche Länder wie Brasilien oder Südafrika stellen inzwischen sicher, dass Freiwillige keine Lücken füllen, die durch einheimische Arbeitskräfte besetzt werden könnten. So berichtete eine Teilnehmerin, dass Südafrika einer Weltwärts-Freiwilligen mit abgeschlossener medizinischer Ausbildung mit dieser Begründung kein Visum ausgestellt hatte.

Die Vorbereitung macht’s

Anspruch und Wirklichkeit können weit auseinanderklaffen. Gerade junge Menschen, die sich entwicklungspolitisch engagieren wollen, gehen meist mit hohem Idealismus und „dem Wunsch, die Welt zu retten“ (O-Ton), ins Ausland.

Einige berichteten davon, dass ihnen während ihrer von der jeweiligen Entsendeorganisation organisierten Vorbereitung viele Illusionen genommen wurden – was sie als hilfreich empfanden, da die Freiwilligen dadurch mit realistischeren Erwartungen ausreisten.

Nicht alle Entsendeorganisationen nehmen diese Verantwortung gleichermaßen wahr, sodass immer noch viele Freiwillige erst vor Ort erkennen müssen, dass sie, wenn überhaupt, nur wenig „Sinnvolles“ leisten oder wirklich helfen können. Das führt in vielen Fällen zu Enttäuschung, hoher Frustration und auch zum Abbruch des Einsatzes.

Süd-Nord-Gerechtigkeit

Den meisten Diensten fehlt ein Angebot für Freiwillige aus dem Ausland, die einen Dienst in Deutschland leisten möchten. Weltwärts zum Beispiel beinhaltet erst seit etwa zwei Jahren eine sog. Süd-Nord-Komponente und derzeit sind weniger als 10% der Teilnehmenden solche aus Ländern des Südens. Dies ist ausbaufähig und sollte gerechterweise grundsätzlich bei jedem Angebot ein Verhältnis von 50:50 abbilden.

Muss man ins Ausland gehen, um andere Kulturen kennenzulernen?

Einige Teilnehmende wiesen daraufhin, dass auch innerhalb des eigenen Landes die Möglichkeit besteht, interkulturelle Erfahrung zu sammeln, etwa indem man sich in Flüchtlingsprojekten engagiert.

Daraus entspann sich eine längere Diskussion, da die meisten doch eher der Meinung waren, dass es zur interkulturellen Erfahrung gehört, sich in einer fremden, nicht vertrauten Umgebung zu fühlen, anders auszusehen, „fremd“ zu sein. Das stellte für viele eine zentrale Erfahrung ihrer Einsätze als Freiwillige dar.

„Wertigkeit“ von Auslandserfahrung

Einige Teilnehmende berichteten, dass sie als Au pair im Ausland waren oder mehrere Monate gereist sind, weil dies die für sie passenderen Wege waren, andere Gesellschaften kennenzulernen. Auch wenn dadurch genauso wichtige und prägende Erfahrungen entstehen, haben sie hinterher in Deutschland erfahren, dass die Teilnahme an einem Freiwilligendienst „positiver“ bewertet wird (etwa bei der Bewerbung um einen Studienplatz mehr zählt).

Fazit: Das Kind beim (richtigen) Namen nennen

Ein wesentliches Fazit der Runde lautete, dass Freiwilligendienste nicht den Anspruch haben können und sollten, „entwicklungspolitisch“ wirksam zu sein. Dazu sind die Qualifikationen der Freiwilligen und auch ihr relativ kurzes Engagement (meist etwa ein Jahr) nicht ausreichend.

Die Dienste sollten besser unter der Bezeichnung „Kulturaustausch“ oder „Lerndienst“ laufen, was den Erfahrungen des Großteils der ehemaligen Freiwilligen entspricht. Ihrer Erfahrung nach trug ihr Einsatz vor allem zur persönlichen Entwicklung bei. Die meisten hatten dabei zwar durchaus den Eindruck, Sinnvolles geleistet zu haben, sagten aber auch, dass es vor Ort kaum einen Unterschied gemacht hätte, wären sie nicht für die Dauer ihres Einsatzes dort gewesen.

Möglichkeitsüberschuss: Macht was draus!

Gegen Ende der Diskussion reflektierte Bernhard Kühn den Teilnehmenden seine Sicht auf die Diskussion. Er erinnerte daran, dass es nur in wenigen Teilen der Welt zu einer solch offenen Diskussion kommen könne, bei der alle Teilnehmenden ehrlich und kontrovers, aber fair über ihre Erfahrungen und Möglichkeiten diskutieren können.

Er betonte, dass ein Freiwilligendienst, bzw. ein Aufenthalt in einem anderen Land auch dazu dient, die eigene Herkunft und die eigenen Möglichkeiten in der Freiheit der Lebensgestaltung zu reflektieren.

 

Alles in allem war es eine wirklich schöne Veranstaltung mit einer angenehmen Diskussionskultur. Ich bedanke mich sehr herzlich bei unseren Gästen sowie allen Teilnehmenden, die teils emotionale Erlebnisse geteilt und stets respektvoll diskutiert haben.

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