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Mehr als Worte: Storytelling in Monitoring und Evaluierung

Storytelling – dieser Begriff kommt mir derzeit häufig unter, da es derzeit groß im Trend ist, das Erzählen von Geschichten als Marketinginstrument einzusetzen. Insbesondere die Nutzung von Social Media-Kanälen ist eine dankbares Anwendungsgebiet für diese Art der Kommunikation mit NutzerInnen. Interessante Beispiele sind z.B. Meine kleine Farm oder die Kony 2012-Kampagne (letztere wurde zwar zu Recht wegen ihres vereinfachenden Inhalts kritisiert, gilt jedoch als eine der erfolgreichsten NGO-Kampagnen überhaupt).

Storytelling kann aber auch eine sinnvolle Maßnahme im Rahmen des Monitorings und der Evaluierung von Projekten und Programmen sein und wird auch in der Organisationsentwicklung eingesetzt.

Storytelling flickr

Storytelling: Wirksames Mittel zum Lernen und Lehren (Quelle: flickr, user dkuropatwa)

Was ist Storytelling? Kann ich das auch?

Geschichten funktionieren immer und sind fester Bestandteil unseres Alltags. Geschichten kann jeder/r erzählen, dazu bedarf es keiner Fähigkeiten (außer ggfs. dem Verständnis einer Fremdsprache oder eines Dolmetschers/einer Dolmetscherin) und keinerlei technischer Hilfsmittel (wobei Audio- oder Videoaufzeichnung Sinn machen und auch schon lange eingesetzt werden). Mit Geschichten konstruieren wir einen wesentlichen Teil unserer Welt und daher erlauben sie wichtige Einblicke in unser Erleben und unsere Wahrnehmung.

Storytelling an sich ist keine Kunst und gehört zu unserem Alltag: „Als ich Kind war, da backte meine Oma immer so leckeren Apfelkuchen, ….“ „Mein Tag auf der Arbeit war heute echt anstrengend. Am Morgen schon 50 Emails im Posteingang, das Telefon stand nicht still, …“ „Mein Mann und ich haben uns im Urlaub auf Mallorca kennengelernt, das war so: ….“

Einige Hintergründe und Tips zum (Digital) Storytelling hat das betterplace lab (auf Deutsch) gut aufbereitet. Noch mehr Ressourcen am Ende des Beitrages.

Storytelling für Monitoring und Evaluierung

Es gibt eine ganze Reihe qualitativer Verfahren, die sich vorwiegend auf das Storytelling konzentrieren und dabei eine einzelne Geschichte als Fülle von Daten behandeln, durch die man mehr über die jeweilige Forschungsfrage erfahren kann. Das heißt nicht, wahllos irgendwelche Geschichten zu sammeln, sondern gezielt solche, die relevant sind in Bezug auf die Forschungsfrage (was u. U. nicht immer leicht herauszufinden ist).

Dabei muss man darauf achten, wessen Geschichten gesammelt werden (Repräsentativität) sowie auf eine ausreichende Menge, damit man Extreme als solche erkennen kann. Außerdem sollte man von vorneherein eine Vorstellung darüber haben, wie die Geschichten systematisiert und ausgewertet werden sollen, sonst verkommen sie zu einem großen Stapel netter Geschichten ohne große Aussagekraft. Neben den Kategorie-basierten Verfahren der qualitativen Forschung gibt es inzwischen eine Reihe eigens für die Analyse von stories entwickelter IT-basierter Auswertungsmöglichkeiten.

Better Evaluation hat einige Basisinformationen zum Thema Storytelling zusammengestellt inklusive Hinweise zur Anwendung entsprechender Methoden.

Most Significant Change (MSC)

Einer der bekanntesten Ansätze des Storytelling in der Evaluierung ist die „Most Significant Change“ (MSC) Methode. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, was die Erzählenden in einem bestimmten Kontext als für sie bedeutendste Veränderung wahrnehmen.

Hier ein kurzes Video, das die MSC-Technik anhand einer Praxisübung mit KleinbäuerInnen auf Sansibar anschaulich erklärt (Tipp: youtube ist eine grandiose Fundgrube für erklärende Videos zu diesem und vielen anderen verwandten Themen):

 

Und hier ein kurzer Beitrag, in dem eine Kleinbäuerin aus Nicaragua über ihren „most significant change“ erzählt:

Noch mehr Videos und Informationen über MSC gibt es beim Projekt Video Girls for Change.

Storytelling für community feedback

Global Giving hat die MSC-Technik in einem Pilotprojekt in Kenia und Uganda weiterentwickelt (hier ein interessanter Beitrag über den Entwicklungsprozess). Tausende kurzer Geschichten wurden mithilfe standardisierter halbstrukturierter Fragebogen gesammelt (teils mittels offener Fragen wie „Welches erfolgreiche Unterfangen hat Ihre Gemeinde durchgeführt?“ „Was ging in Ihrer Gemeinde kürzlich schief?“, etc.). Die Antworten wurden mit einer eigens angepassten Software SenseMaker so ausgewertet, dass neben den qualitativen Daten auch statistische und grafische Auswertungen vorliegen.

Global Giving arbeitet daran, einen „online DIY community feedback toolkit“ zu entwickeln, den jede interessierte Organisation, egal welcher Größe, nutzen kann. Das ist insbesondere für kleine und lokale NGOs interessant, die oftmals nur geringe Kapazitäten für M&E-Aktivitäten haben, ebenso wie Budgets dafür.

Appreciative Inquiry (Wertschätzende Erkundung)

Die Technik der Appreciate Inquiry (AI) (dt. Wikipedia), die auch in der Organisationsentwicklung eingesetzt wird, arbeitet mit der Annahme, dass eine positive Grundeinstellung gegenüber bestimmten Themen positive Veränderungen bewirken kann. Statt sich auf Negatives zu konzentrieren („Was hat nicht funktioniert?“) wird der Fokus auf positive Ansätze gelegt („Was hat im besagten Projekt besonders gut funktioniert?“).

Sind besonders gute Ansätze identifiziert worden, wird daran weitergearbeitet, etwa, wie diese konsolidiert oder erfolgreich ausgeweitet werden können und eine Vision für die Weiterarbeit wird erstellt. Das ist auch ein klassischer Coaching-Ansatz: Sich auf die eigenen Stärken konzentrieren.

Die Technik kann alleine eingesetzt oder mit anderen Elementen (z.B. Video, Abbildungen) kombiniert werden oder kann Ausgangspunkt eines umfassendere Storytelling-Prozesses sein. Als Evaluierungstechnik ist die AI eingeschränkt verwendbar, da sie sich auf das Positive konzentriert und die Frage, was nicht funktioniert, nicht bearbeitet. Wenn man an der Weiterenwicklung bestehender Ansätze arbeitet und Empfehlungen für zukünftige Vorhaben erarbeiten will oder aber eine partizipative Komponente im Monitoring einbauen will, ist die AI ein nützliches Werkzeug.

Digital Storytelling

Digital Storytelling ist keine Methode, die mit den vorher genannten kontrastiert, sondern nutzt vielmehr digitale Medien zum Erzählen von Geschichten, wobei die zuvor genannten Methoden zum Einsatz kommen können (siehe die Videos zu MSC).

Hier (PDF) gibt es eine kurze Einführung in den Einsatz des Digital Storytelling im Entwicklungskontext. Die Teilnehmenden entwickeln ihre eigenen Geschichten zu kurzen,  etwa 3-minütigen Beiträgen unter Einsatz von Zeichnungen, Fotos und Video.

Durch den Medieneinsatz, der i.d.R. mit intensiven Schulungen der Teilnehmenden beginnt, werden aussagekräftige und eindrucksvolle Beiträge gestaltet, die nicht nur zur Evaluierung genutzt werden können sondern auch Aufmerksamkeit auf Themen lenken, die den Beteiligten besonders am Herzen liegen. Die Bildersprache wird meist international verstanden und gesprochene Worte können untertitelt oder synchronisiert werden.

Durch die zunehmende Verbreitung neuer Medien wird auch das Digital Storytelling zunehmen, auch, weil es einfach zu erlernen ist und Gruppen und Einzelpersonen meist großen Spaß dabei haben. Im Bereich von Evaluierungen ist es eine Möglichkeit, die klassische Berichtsform zu erweitern oder gar zu ersetzen, denn einige kurze Filme dürfen länger im Gedächtnis bleiben als ein 50-seitiger Bericht. Auch sind sie eine gute Möglichkeit, Evaluierungsergebnisse partizipativ zu erarbeiten und mit vielen Menschen zu teilen (mit der Einschränkung, dass technische Hilfsmittel und i.d.R. Strom benötigt werden).

Fazit

Als vorwiegend qualitativ arbeitende Beraterin finde ich Verfahren des Storytelling sehr spannend, insbesondere, wenn die Möglichkeit besteht, mit vielen Geschichten arbeiten zu können, die man wie ein Mosaik zu einem Gesamtbild zusammensetzen kann. Wie erwähnt muss man natürlich darauf achten, dass das Ganze mit einem Ziel geschieht und die Geschichten nicht nur der schönen Geschichten halber gesammelt werden. Gerade deswegen ist es auch spannend, Monitoring-Prozesse von vorneherein mit Storytelling-Elementen zu konstruieren (wobei Sinn und Umsetzbarkeit von einer Reihe von Faktoren abhängen und nicht grundsätzlich gegeben sein müssen).

Immer wieder faszinierend  an der Arbeit mit Geschichten (was auch Zeichnungen, Foto, Video, Theater, etc. einschließt), ist die unglaubliche Kreativität, die dabei zum Vorschein kommt. Vielen Menschen fällt es überdies leichter, in einer Geschichte indirekt über bestimmte Themen zu sprechen, als dies direkt in einer Befragungssituation zu tun.

 

Ressourcen

Storytelling in der Evaluierung

  • Storytelling Approaches to Program Evaluation: An Introduction. Sylvia Sukop (Hg.), 2007. (PDF): Kurzer Überblick über einige Ansätze des Storytelling zur Evaluierung inkl. Multimedia und Theater
  • Storytelling, Richard A. Krueger: Nützliche Hinweise über den Einsatz von Storytelling in der Evaluierung
  • Storytelling in Evaluation, Sharon Smith-Hallstead: Kurzer Beitrag im Blog der American Evaluation Association über Werkzeuge für Storytelling in der Evaluierung
  • 10 Tips on Using New ICTs for Qualitative Monitoring and Evaluation, Linda Raftree

Most Significant Change Technique

  • The „Most Significant Change“ (MSC) Technique, Rick Davies und Jess Dart (PDF): Das Standardwerk zu MSC

Global Giving

  • The „Real Book“ for story evaluation methods, Global Giving (PDF und Zusammenfassung): Darstellung und Anleitung der von Global Giving entwickelten Methode

Appreciative Inquiry

Digital Storytelling

  • Center for Digital Storytelling, University of California, Berkeley
  • Digital Storytelling and Participatory Evaluation  Tip Sheet, Beth Berk (PDF): Kurzes Merkblatt mit einigen Basisinformationen über partizipative Evaluierung und dem Einsatz von Digital Storytelling in diesem Kontext
  • Digital Storytelling, Tessa Lewin (PDF): Sehr gute Darstellung der Methode und ihrer Einsatzmöglichkeiten
  • Digital Storytelling at the Nonprofit Technology Conference 2013, techsoup.org: Kurzer Überblick über nützliche Werkzeuge des Digital Storytelling, nicht nur mittels Video

 

(HT Robert Mehr (@robertmehr): Sein Hinweis auf die Global Giving-Seite auf Twitter erinnerte mich daran, dass ich schon lange einen Post zu diesem Thema schreiben wollte)

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