Einmal im Monat unterhalten sich unter dem Titel “Der Austausch” Claire und Charlott über ein Thema. Dabei bringen wir verschiedene Kenntnisse, Meinungen und Erfahrungen zusammen. Gleich aber ist unser Interesse für Afrika. Vorschläge für Themen können auch gern in den Kommentaren gemacht werden.
In dieser zweiten Ausgabe geht es darum, wie über Afrika geschrieben wird, wir empfehlen Webseiten für vielschichtigere Einblicke und ärgern uns über Klischees.
Claire: “Schreiben über Afrika” ist in der englischsprachigen Afrika-Blogosphäre seit Monaten ein viel diskutiertes Thema. Nur einige Beispiele: Laura Seay, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin, schrieb einen journalismuskritischen Artikel über “How not to write about Africa” (“Wie man nicht über Afrika schreiben sollte”). Vor kurzem veröffentlichte die US-amerikanische Journalistin Jina More einen Beitrag mit dem Untertitel “We need to tell the Africa story differently” (“Wir müssen die Afrika-Erzählung anders darstellen”). More, wenngleich weniger journalismuskritisch als Seay, plädiert auch dafür, nuancierter und vorurteilsfreier über Afrika zu berichten.
Charlott: Dazu gleich mal ein kleiner Einwurf! Den genauen Ursprung der Debatte kann ich natürlich nicht benennen (und ich bin mir sicher, es wird schon ewig irgendwie dazu diskutiert), aber Laura Seays Titel kommt nicht von irgendwo her, sondern bezieht sich auf einen Text des Kenianers Binyavanga Wainaina, der bereits 2005 erschien: „How to write about Africa„. 2012 hat er überings auch nochmal einen Nachtrag zu diesem Stück geliefert: “How not to write about Africa in 2012 – a beginner’s guide”.
Claire: Da stimme ich Dir zu, und kann die Beiträge von Wainana nur empfehlen. Diese Diskussion dürfte sicher schon seit Jahrzehnten geführt werden, seit den Hochzeiten des Postkolonialismus und vermutlich schon lange davor. In der Ethnologie gibt es ebenfalls seit Jahrzehnten Debatten darüber wie “die anderen” in ethnologischen Beiträgen am besten repräsentiert, bzw. dargestellt werden können und sollen.
Ich kann mir vorstellen, dass auch jetzt gerade einige Hausarbeiten zu diesem Thema entstehen, nachdem vergangenes Frühjahr die Debatte im Zuge der “Kony 2012”-Kampagne sehr hochgekocht ist. (Wir freuen uns über entsprechende Hinweise – sollte jemand dazu etwas wissen). Selbst in deutschsprachigen Blogs wurde das diskutiert – auch wir, du, und ich, haben darüber geschrieben.
Bei den von mir genannten Autor_innen handelt es sich um Weiße aus Ländern des Nordens, die sich kritisch mit der gegenwärtigen Berichterstattung über Afrika auseinandersetzen, die zumeist ebenfalls von Weißen, geleistet wird. (So wie wir beide das ja auch tun).
Ein gängiger Kritikpunkt lautet, dass westliche Medien Afrika zu undifferenziert betrachten. Das fängt damit an, dass oft die Rede z.B. von “Türkei, Indien und Afrika” ist, also so getan wird als wären alle (54) afrikanischen Länder vergleichbar. “Afrika” ruft bei vielen Menschen im Westen die immergleichen Bilder von Kriegen, Hunger und Armut hervor, da darüber meist berichtet wird.
Die kritischen Stimmen setzen sich nun dafür ein, dass ein ausgeglicheneres Bild des Kontinents Afrika gezeichnet wird; eines, das mit gängigen Stereotypen bricht und nicht nur die düsteren Katastrophenphantasien bedient.
Was ist denn Deine Meinung zur aktuellen “Wie schreiben wir über Afrika-Debatte”?
Charlott: Ich finde es erstmal sehr wichtig anzumerken, dass dies keine rein europäisch-US-amerikanisch geführte Debatte ist, sondern ja gerade einer der bekanntesten Texte von einem Kenianer kommt. Gerade bei diesem Thema finde ich es wichtig neben den westlichen Diskursen die afrikanischen hervorzuheben (und natürlich Verknüpfungen aufzuzeigen).
Ganz allgemein, finde ich es aber super wichtig, dass die Debatte (mal wieder) in den Fokus rückt. Jeden Tag werden wir mit klischeehaften Bildern von und zu Afrika konfrontiert, ohne dass sie in irgendeinen Kontext gepackt werden. Ich war vor ein paar Monaten über das International Reporting Project in Kenia und habe da live erlebt, wie auch journalistisch zu Afrika gearbeitet wird. Wir waren eine Gruppe von Blogger_innen (und/oder Journalist_innen) aus aller Welt, die gemeinsam durch Kenia reisten, um zu reproduktiven Rechten zu recherchieren und schreiben. Diejenige, die die Reise zusammengestellt hat, war total darauf aus “auch positive Bilder zu zeigen”, nahm dabei aber eine absolut unkritische Haltung zu allem ein. Einige von uns, die das nicht so einfach hinnahmen, mussten echt starke Arbeit leisten um dagegen anzuarbeiten, da wir ja ständig mit Informationen und Geschichten gefüttert wurden. Martin Robbins hat dazu eine wirklich gute Reihe für den Guardian gemacht. Dabei zeigt er auch nochmal viele Fallstricke für westliche Journalist_innen auf.
Als du angefangen hast über Afrika (auch öffentlich) zu schreiben, was für Gedanken hast du dir da gemacht?
Claire: Ich habe angefangen, während mehrerer längerer Aufenthalte, v.a. in Tansania, zu schreiben, zunächst in langen Emails an Familie und Freunde, dann in meinem Blog. Ich wollte gerne denjenigen, die weit weg waren, Einblicke in meinen Alltag geben, aber nicht auf eine exotisierende Weise, sondern einfach aus dem für mich “normalen” Alltag berichten. Natürlich auch über die interkulturellen Fallstricke, aber immer auch in einer Weise, in der ich mich selbst reflektiere. Denn wenn man ehrlich ist, entstehen viele unangenehme Situationen nicht durch die Dummheit/Unfähigkeit/Ignoranz der Anderen sondern durch das eigene Unvermögen, Situationen richtig zu verstehen und angemessen reagieren zu können.
Beim Schreiben ist mir wichtig, Menschen mit Respekt zu begegnen und nicht zu sehr zu verallgemeinern. Ich schreibe z.B. “auf der Hochzeitsfeier bei Familie xy habe ich Folgendes erlebt” anstatt “tansanische Hochzeitsfeiern laufen so ab, dass…”.
Welche Bücher, Autor_innen (akademisch, literarisch, journalistisch) haben Deine Wahrnehmung von Afrika beeinflusst?
Charlott: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich habe ja mit knapp 16 für ein Jahr in einem Township bei Johannesburg gelebt – Das hat mich wohl am allermeisten geprägt und erste intensive Auseinandersetzungen mit “Was hören wir in den Medien” und wie sehen Realitäten aus in Gang gebracht.
Generell halte ich es für sehr wichtig, “einfach” sehr viel zu lesen, um möglichst verschiedenste Facetten und Bilder zu haben. Das bezieht sich auch in erster Linie auf Texte von afrikanischen Autor_innen. Mensch sollte nicht anfangen Peter Scholl-Latour oder “Die weiße Massai” als Quelle für Afrika-Wissen zu verstehen.
Aber vielleicht sollte ich einfach mal ein paar Bücher nennen… Ein akademisches Buch, welches aber sehr vorraussetzungsvoll ist, ist “The Invention of Africa” von Y.V. Mudimbe. Von Wainaina gibt es auch Bücher, das aktuellste “One Day I Will Write About This Place” soll sehr toll sein, bei mir liegt es leider noch auf dem noch-zu-lesen-Stapel. Als Autorinnen wären da z.B. Mariama Ba, Tsitsi Dangarembga, Yvonne Vera, Leila Aboulela, Chimamanda Ngozi Adichie und Bessie Head zu nennen.
Letztenendes ist Afrika aber nunmal ein Kontinent mit 54 Staaten und einer unglaublichen Varianz an Lebensrealitäten, die könnten niemals von ein paar Büchern wiedergespiegelt werden. Das ist sehr wichtig zu erkennen.
Was meinst du, warum ist es so schwer, statt “über Afrika” über spezifische Länder und Regionen zu berichten/ zu sprechen?
Claire: Ich denke, es hat viel mit dem politischen und wirtschaftlichen Status zu tun. “Wir” (aus dem reichen Norden) können es uns leisten, “sie” aus dem armen Süden zu ignorieren. Es ist leicht, “Afrika” als arm und für unseren Alltag irrelevant abzutun. Vielleicht hat es auch mit einer gewissen Angst vor dem, was uns fremd erscheint, zu tun. Mehr als 50 Länder, so viele Sprachen, und dann immer die Rede von “Stämmen” [siehe Fussnote] in den Medien, das mag vielen Menschen als zu kompliziert erscheinen.
“Afrika” wird so zu einem Ort des Fremden und des Anderen, mit dem man sich nicht zu detailliert auseinandersetzen mag. Aber vermutlich hat es auch etwas mit Distanz zu tun. Je weiter andere Länder von uns entfernt sind, desto weniger relevant sind sie, zumindest diejenigen, die in Politik und Wirtschaft keine große Rolle spielen. Länder und Gesellschaften Südasiens oder der Karibik werden vermutlich ähnlich stiefmütterlich und stereotyp behandelt.
Leider tragen da auch viele Entwicklungsorganisationen ihren Teil zu bei indem sie teils sehr krasse Darstellungen von Armut zur Spendenwerbung nutzen – das habe ich hier mal beleuchtet.
Welche Zeitungen, Websites, Blogs, etc. aus afrikanischen Ländern liest Du gerne und empfiehlst Du weiter?
Charlott: Für Nachrichten aus Afrika empfehle ich als erste Quelle AllAfrica. Die Seite wird zum einen gespeist durch eine ganze Reihe von afrikanischen Zeitungen und Agenturen, hat aber auch eigene Büros und produziert eigene Inhalte. Was sonst Nachrichten angeht, kommt es natürlich auch auf das Land des Interesses an. Ich lese sehr gern die südafrikanische Mail&Guardian. Neben nationalen Nachrichten, widmen sie sich auch Themen aus Afrika und der restlichen Welt.
Für Blogs finde ich die Formulierung “aus afrikanischen Ländern” schwieriger, ich würde dabei sagen “von Afrikaner_innen in Afrika und in der Diaspora” (und da als Maßstab nehmen, wie sie sich selbst definieren). Ich liebe absolut MsAfropolitan von Minna Salami. Außerdem lese ich regelmäßig Spectra Speaks, der queeren, feministischen Nigerianerin Spectra. Eine Bekannte von mir, die zimbabwische Dichterin und Aktivistin Fungai Machirori, hat Anfang des Jahres die Seite HerZimbabwe ins Leben gerufen. Da gucke ich natürlich auch immer mal wieder rauf. Eigentlich lese ich noch viel mehr, aber das sind vielleicht die wichtigsten.
Was liest du denn im Internet besonders gern?
Claire: Neben den von Dir erwähnten Seiten finde ich BBC Africa und Al Jazeera Africa für aktuelle Nachrichten gut. Auch Jeune Afrique lese ich gelegentlich.
Ich verfolge vor allem, was in Ost- und Zentralafrika vor sich geht, daher lese ich oft den East African. Blogs lese ich mal mehr mal weniger regelmäßig, aber hier gibt es ja immer wieder Neues zu entdecken. Gut finde ich z.B. Elsie Eyakuze aus Tansania, die auf Mikocheni Report über Innenpolitik und Feminismus schreibt und Charles Onyango-Obbo, Ugander in Nairobi, der auf Naked Chiefs politische Kommentare und Hintergrundberichte veröffentlicht. Die Blogs bei African Arguments finde ich auch gut, hier schreiben Autor_innen aus westlichen wie afrikanischen Ländern.
Es gibt mit Afrika Echo ein relativ neues deutschsprachiges Afrika-Nachrichtenportal. Dort kann man verschiedene Newsletter mit sehr interessanten Beiträgen abonnieren. Und die Afrikaberichterstattung der taz finde ich sehr gut. Dominic Johnson von der taz schreibt auf Kongo Echo außerdem über Hintergründe und neueste Ereignisse in der DRC.
Wie ist denn Deine Meinung zur deutschsprachigen Afrika-Berichterstattung?
Charlott: Manchmal würde ich einfach nur gern weinen. Ich habe immer wieder das Gefühl Journalist_innen aus Deutschland nehmen sich den Artikel von Wainaina und versuchen, dass genau zu erfüllen, was er satirisch beschreibt.
Vor einigen Jahren war ich mal beim Spiegel mit einer Exkursion und wird durften uns mit der Frau unterhalten, die die Artikel, die über Afrika veröffentlicht werden, checkt. Sie war nicht nur ganz allein für Afrika zuständig, sondern auch noch für Frankreich und wirkte eher resigniert. Sie berichtete davon, dass sie manchmal abwägt über welche Fehler und Probleme sie mit den Autor_innen anfängt zu diskutieren und sich lieber einen ganz besonders gravierenden Punkt nimmt und andere lässt, da sie eh nicht alles durchbekommen würde.
Und dann bildet diese Berichterstattung gemeinsam mit vor Klischees triefenden Büchern, die immer einen Baobab-Baum und Sonnenuntergang auf dem Cover haben müssen, der Darstellung von Afrikaner_innen und Afrika in Filmen/Serien und Werbespots von “Hilfs”organisationen das Rauschen, welches wir hier in Deutschland als “Afrika” wahrnehmen.
Wichtige Fragen sollten hier auch sein: Wer profitiert von so einer Berichterstattung? In welcher Geschichte ist diese Art von Afrika-Erzählung verhaftet? Das alles ist ja kein Zufall. Viele der noch heute tradierten Bilder fußen in Kolonialerzählungen. Bis heute werden afrikanische Staaten und (nicht-weiße) Menschen aus Afrika nicht vollkommen auf Augenhöhe betrachtet.
Claire: Dem kann ich mich eigentlich nur anschließen.
FUSSNOTE
Der Begriff “Stamm” ist wegen seiner Verbindung zur kolonialen Vergangenheit kritisch zu betrachten und in der Wissenschaft nicht mehr gebräuchlich. Er wertet die so bezeichneten Menschen im Vergleich zu vermeintlich “moderneren” Gesellschaften westlicher Länder ab und impliziert, als S. bezeichete Gruppen seien weniger entwickelt und komplex als andere.
Inzwischen ist der Begriff “Ethnie” gebräuchlich, der beinhaltet, dass so bezeichnete Gruppen soziale Konstruktionen sind. Alle Ethnien sind allen anderen gleichwertig. Passend ist auch die Bezeichnung “Gesellschaft”, da sie, eher noch als “Ethnie” auch im Bezug auf westliche Kontexte akzeptiert wird (etwa als Bezeichung für “die Bayern” oder “die Basken”).