Gestern abend war ich bei einer Veranstaltung in der Altonaer Werkstatt 3: „Entwicklung und Afrika neu denken – der Ansatz des BMZ“. Peter Krahl vom Planungsstab des BMZ stellte das neue Strategiepapier „Chancen schaffen – Zukunft entwickeln“ vor; angekündigt worden war auch die Vorstellung des ressortübergreifenden Afrika-Konzeptes der Bundesregierung, doch Punkt eins bot genügend abendfüllenden Stoff, so dass das Afrika-Konzept außen vor blieb.
Der Abend fand (leider) in kleiner Runde statt, was wohl u.a. dem zeitgleich (und auch noch in Hamburg) ausgetragenen Länderspiel geschuldet war. Dadurch war jedoch die Atmosphäre recht persönlich und die teilnehmenden stellten viele Fragen.
Das Konzept – quasi druckfrisch an die Anwesenden verteilt – will, so der Referent (noch) kein fertiges sein, sondern eher ein Thesenpapier, das Minister Dirk Niebel im Sinne eines „Aufschlages“ nun an die Zivilgesellschaft gegeben hat, um nach eingehender Diskussion ein endgültiges, erweitertes Konzept zu präsentieren. In einer Stellungnahme hat VENRO, der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen bereits eine kritische Analyse dazu veröffentlicht.
Entwicklungspolitik im Wandel
Entwicklungspolitik ist, wie alle politischen Themen, einem stetigen Wandel und dem Zeitgeist unterworfen, außerdem spielen natürlich parteipolitische und weltanschauliche Ansichten mit hinein. Es gibt daher selten Konsens darüber, was „gut“ ist und was „schlecht“, je nach Weltanschauung gehen da die Ansichten zum Teil extrem auseinander.
Das neue BMZ-Papier spiegelt den Paradigmenwechsel wieder, der mit der Übernahme des BMZ durch FDP-Minister Niebel 2009 begann. Der Referent präsentierte folgende Punkte als die wesentlichen:
– Mehr Wirksamkeit
– Mehr Sichtbarkeit
– Mehr Investitionen
– Mehr Zivilgesellschaft
Mehr Projektfinanzierung, weniger Multilateralismus
Interessant ist eine Rolle rückwärts in der Entwicklungsfinanzierung: Das BMZ will wieder weg von der multilateralen, hin zu mehr bilateraler Kooperation, also weniger Beiträge an internationale Organisationen, Regionalbanken, etc. zahlen und dafür mehr Gelder über die Durchführungsorganisationen GIZ und KfW sowie NGOs direkt in die Partnerländer geben. Dies soll durch Projekthilfe geschehen, die wegen der vielen Doppelstrukturen und ihrem hohen Verwaltungsaufwand in der Kritik stand und steht.
Auch die seit einem guten Jahrzehnt praktizierte Budgethilfe, das Einzahlen von Geldern in die Haushalte der Empfängerländer, wird wieder zurückgefahren werden. Der Grund: Die hohe Korruptionsanfälligkeit.
Die Anwesenden sahen dies jedoch kritisch, denn die Projekthilfe an sich ist nicht weniger korruptionsanfällig, auch wenn dies auf den ersten Blick so scheinen mag. Die Praxis zeigt durchaus anderes.
Zielkonflikte
Die EZ mag ihre Schlagworte. Eines, das sehr häufig an diesem Abend fiel, war „Zielkonflikt“. Zielkonflikte entstehen, wenn sich zwei gut gemeinte Absichten in die Quere kommen und da die EZ an sich es ja gut meint, entstehen hier quasi Zielkonflikte am laufenden Band.
Ein Zielkonflikt besteht zum Beispiel zwischen den Anliegen „mehr Wirksamkeit“ und „mehr Sichtbarkeit“ – eine höhere Sichtbarkeit, z.B. durch mehr Projekthilfe und in der Folge mehr einzelne Projekte muss sich nicht unbedingt positiv auf die Wirksamkeit der eingesetzten Mittel auswirken, im Gegenteil könnte es sogar schädlich sein, da mehr Projekte mehr administrative Strukturen und auch potenzielle Dopplungen thematischer Art bedeuten können. Die Antwort des BMZ: Bei Zielkonflikten dieser Art muss die Wirksamkeit über der Sichtbarkeit stehen.
Überhaupt, die Wirksamkeit. Dies scheint eines der von Dirk Niebel bevorzugten Schlagworte zu sein. Zur besseren Dokumentation und Erhöhung der Wirksamkeit der deutschen EZ wird ein unabhängiges Evaluierungsinstitut gegründet (allerdings vom BMZ finanziert), das die deutsche EZ künftig evaluieren soll. Näher wurde darauf an diesem Abend jedoch nicht eingegangen.
Mehr Investitionen, weniger Grundbildung
Mehr Investitionen, weniger Grundbildung, so lässt sich verkürzt ein weiterer Punkt darstellen. Das BMZ vertritt den Standpunkt, dass die sozialen Dienste und die Grundbildung von anderen Gebern ausreichend ausgestattet werden, so dass das deutsche Engagement hierbei zurückgefahren werden kann. Stattdessen sollen private und öffentliche Investitionen gefördert werden. Mit der Maßgabe, dass Gewinne zum Großteil in den jeweiligen Ländern verbleiben und die jeweiligen Regierungen ein investitionsfreundliches Umfeld schaffen.
Dies dürfte wohl in vielen Fällen mit Unterstützung in Form von Beratungsdienstleistungen der GIZ geschehen.
Mehr Zivilgesellschaft – aber wieviel?
Die Zivilgesellschaft soll noch stärker gefördert werden, dazu werden mehr Mittel für die Förderung von Vorhaben privater Träger bereitgestellt werden (von derzeit rund 500 auf bis zu 680 Mio. Euro bei einem Gesamthaushalt des BMZ von 6,219 Mrd. Euro in 2011).Über die GIZ und die KfW wird nach Aussage des Referenten jeweils rund das Doppelte (je etwa 1,2 Mrd. Euro) implementiert, die Zivilgesellschaft bleibt daher weiterhin ein untergeordneter Akteur.
Kritische Stimmen: Wo bleibt die Gendersensibilität?
Wie erwähnt hat VENRO bereits einen kritischen Blick auf das Papier geworfen und auch in der gestrigen Diskussionsrunde wurde vieles kritisch diskutiert. Besonders kritisch, befeuert durch Selbstkritik des BMZ, vertreten durch den Referenten, wurde die fehlende Thematisierung der Gender-Frage gesehen.
Bei keinem öffentlichen Geber kann man Gelder beantragen, ohne die Gendersensibilität des Vorhabens nachtzuweisen, doch die Vorstellungen des BMZ zur Zukunft der deutschen EZ klammern dieses Thema komplett aus. Der Referent gab sich zernkirscht und versprach, dass das BMZ diese Kritik ernst nehmen würde, schließlich sei die deutsche EZ in personeller Hinsicht auch alles andere als gendersensibel. Von vier Abteilungsleitern des BMZ ist keiner weiblich, auch die sieben Vorstände der GIZ sind Männer.
Da gibt es noch einiges zu tun für die deutsche EZ, denn es holpert natürlich, wenn man Genderpolitik in anderen Ländern fördern möchte, ohne dabei wirklich ein Vorbild zu sein.
Wir wollen Weltmarkführer werden
Explizites Ziel von Dirk Niebel ist es, mittels der GIZ Weltmarkführer im Bereich der technischen Zusammenarbeit zu werden. Hier gibt es einen weiteren Zielkonflikt, stellt man dieses Anliegen dem alten Motto, wonach das Ziel der EZ sein sollte, sich selbst abzuschaffen, gegenüber.
Solange die Vergabe von deutschen Geldern daran geknüpft ist, dass die Empfängerländer damit deutsche ExpertInnen der GIZ engagieren müssen, welche vor Ort Führungspositionen einnehmen und ParallelStrukturen aufbauen, so lange kokmmt es auch nicht zu einem wirklichen capacity building, also dem Aufbau von Expertise unter einheimischen Fach- und Führungskräften. Das ist zwar auch ein erklärtes Ziel der deutschen EZ, wird aber noch lange nicht konsequent genug umgesetzt.
Auch hier spielt die Politik wieder hinein: Damit die Fusion der drei Durchführungsorganisationen GTZ, DED und InWEnt sozialverträglich gestaltet werden kann, muss das Auftragsvolumen der GIZ idealerweise steigen, damit die Arbeitsplätze erhalten werden.
Fazit: Ein weites Feld
Wie überall, so kommen und gehen die Moden auch in der Entwicklungspolitik – und auf die Frage, ob denn das vorliegende Papier nicht in spätestens zwei Jahren (nach der nächsten Bundestagswahl) bereits wieder hinfällig sein würde, antwortete der Referent routiniert, dass so eben die Politik funktioniere, dass es aber, auch im BMZ, durchaus begrüßt würde, dass mit Dirk Niebels Initiative einmal frischer Wind in die deutsche EZ gepustet würde.
Zunächst einmal darf man aber gespannt sein, ob ein überarbeitetes Konzept kommt und wenn ja, wie dieses aussehen wird. Das BMZ bittet dazu um Rückmeldung über seine Website und Facebook.
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