Vor rund 11 Monaten wurde im Fahrwasser der letztjährigen Kony2012-Debatte zuletzt in größerem Rahmen on- wie offline über das Afrika-Bild der westlichen Öffentlichkeit debattiert. Bislang allerdings ohne spürbare Folgen; weiterhin lässt die Mainstream-bestimmte Afrikaberichterstattung kein Stereotyp aus (jeden Tag aufs Neue hört man x-Mal vom „schwarzen Kontinent“) und selbst das Entwicklungsministerium, das gerade noch eine Kampagne für ein positiveres Afrikabild in der deutschen Öffentlichkeit angestoßen hatte, befördert munter weiter sämtliche Klischees.
In Afrika! Plädoyer für eine differenzierte Berichterstattung analysiert der Afrikanist und Medienwissenschaftler Martin Sturmer nun die Ursachen dieser verzerrten Berichterstattung und regt einen Perspektivwechsel an. Dieser kann gelingen , so Sturmer, indem westliche Medien viel mehr mit JournalistInnen aus afrikanischen Ländern zusammenarbeiten, von denen es immer mehr und immer besser ausgebildete gibt. Klar strukturiert und angereichert mit vielen Beispielen aus vergangener (Kongo-Krise, Biafra-Krieg) und sehr aktueller Berichterstattung (Kony 2012, Somalia) ist Martin Sturmer damit ein Buch gelungen, das nicht nur JournalistInnen sondern alle, die sich für Afrika interessieren und darüber berichten, mit Gewinn lesen können und sollten.
K-Themen, Klischees und Auslassungen
Martin Sturmer analysiert ausführlich, wie die Strukturmerkmale der (westlichen) Afrika-Berichterstattung zur Verfestigung der üblichen Klischees beitragen. Dabei geht er insbesondere auf die kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen ein und stellt die wichtigsten Akteure sowie ihre jeweilige Rolle im Nachrichtenfluss vor.
Ausgehend von der Prämisse „gute Nachrichten sind keine Nachrichten“ thematisiert die Afrika-Berichterstattung zumeist die sog. „K-Themen“ (Kriege, Krisen, Katastrophen, Krankheit, Korruption und Kriminalität). Sturmer weist nach, dass dies bis in die Zeit des Kolonialismus zurückgeht, in der das vormals neutrale Bild von Afrika von westlichen Akteuren ins Negative überzeichnet wurde, um ihre kolonialen Projekte als „zivilisatorische Missionen“ zu rechtfertigen.
In einem eigenen Kapitel erklärt der Autor kommunikationswissenschaftliche Grundlagen im Hinblick auf die Auswahl und Darstellung von Ereignissen als Nachrichten. Dazu gehören z.B. die sog. „Nachrichtenfaktoren“, erstmals formuliert von Galtung und Ruge, die in ihrer zugehörigen Studie u.a. die Kongo-Krise von 1960 analysierten und beschreiben, wie ein Ereignis zu seinem Nachrichtenwert kommt. Auch wer bisher nicht in Berührung mit der Kommunikationswissenschaft gekommen ist, dürfte Sturmers Ausführungen interessiert lesen, denn der Autor versteht, Theorie verständlich und praxisbezogen darzustellen.
Sehr erhellend ist weiterhin Martin Sturmers Analyse der internationalen Nachrichtenarchitektur und ihrer Akteure und die Auswirkungen auf die westliche Afrikaberichterstattung. Nur einige wenige (westliche) Nachrichtenagenturen bestimmen hierbei den Mainstream bestimmen, dazu kommt, dass die meisten westlichen Medie zunehmend an Afrika-KorrespondentInnenstellen sparen. Auch fehlt es in heimischen Redaktionen zunehmend an RedakteurInnen mit Fachwissen zu „Nischenthemen“ (worunter die Afrika-Berichterstattung gerne fällt). Dies trifft auf die sehr professionelle PR-Maschinerie vieler Hilfsorganisationen und Prominenter, die sich und ihre Charity-Bemühungen gerne gegen Hochglanzbilder verkaufen.
Ungleichgewichte: Ein Perspektivenwechsel ist notwendig
Das mit „Perspektivenwechsel“ betitelte Kapitel soll die zentrale Botschaft des Buches transportieren, leider kommt der Anspruch des Autors, ein Plädoyer für einen solchen Wechsel zu halten, jedoch etwas zu kurz. Ein Großteil des Kapitels handelt von der Nachrichtenagentur IPS, die ein Gegengewicht zu den westlich zentrierten Agenturen bilden will. Die Ausführungen sind interessant, aber im Vergleich zu anderen Fallbeispielen des Buches zu ausführlich. Ebenso ist die Medienresonanzanalyse, die der Autor am Bespiel der Salzburger Nachrichten durchführt, zwar aufschlussreich, für LeserInnen ohne medienwissenschaftlichen Hintergrund dürfte aber das daraus gezogene Fazit interessanter sein als die Darstellung der Analyse.
Im Hinblick auf den vorgeschlagenen „Perspektivwechsel“ wäre daher ein weiteres zusammenfassendes Kapitel wünschenswert gewesen, in dem ausdrücklich erläutert wird, wie ein solcher Wechsel gelingen kann. Der Autor plädiert zwar für eine verstärkte Kooperation mit lokalen JournalistInnen sowie einige Beispiele, jedoch nicht in systematischer Form. Interessant wäre etwa eine detaillierte Analyse der Herangehensweise des in Katar beheimateten Nachrichtensenders Al Jazeera, analog zur Darstellung der Historie von IPS, da der Autor Al Jazeeras Berichterstattung mehrfach als beispielhaft aufzeigt. Etwa, weil der Sender, anders als die meisten westlichen Medien und Agenturen über ein dichtes Korrespondentennetz in Afrika verfügt oder weil er im Format „The Stream“ traditionelle Nachrichten durch Bürgerjournalismus und Multimedia ergänzt. Ebenfalls nur kurz werden neue Formate wie das Bloggernetzwerk Global Voices oder die Plattform Pambazuka vorgestellt. Ein eigenes Kapitel für solche alternativen Nachrichtenformate hätte der Forderung nach einem Perspektivwechsel mehr Nachdruck verliehen.
Leider fehlt auch ein abrundendes Fazit, denn das Buch endet recht abrupt mit einer letzten Fallstudie in Form eines kurzen Kapitels über die Kampagne Kony 2012, in deren Verlauf westliche Medien erstmals in größerem Maß auf afrikanische JournalistInnen und BloggerInnen wie die Uganderin Rosebell Kagumire aufmerksam wurden. Der Autor verzichtet im Anschluss aber leider auf einen Ausblick und so schlägt man das Buch mit dem Gefühl zu, es habe womöglich schnell beendet werden müssen, sodass keine Zeit mehr für ein Schlussplädoyer des Autors geblieben ist.
Gute Auswahl von Praxisbeispielen
Martin Sturmer zeigt mithilfe einer Fülle von Praxisbeispielen wie die Medien dazu beitragen, die westliche Sicht auf Afrika zu verzerren und dadurch bestehende Klischees weiter verfestigt werden. Sehr gelungen sind die aktuellen Bezüge etwa zu Kony 2012, zu alternativen Plattformen und der Agentur IRS, für die viele afrikanische JournalistInnen und BloggerInnen aktiv sind oder der Verweis auf Diskussionen in Social Media-Kanälen wie Twitter. Dies regt zum Besuch und zur Lektüre der erwähnten Plattformen an und erweitert hoffentlich das Recherche-Repertoire so mancher BerichterstatterIn.
Der Autor schreibt flüssig und anregend, nur gelegentlich stören zu viele lange Zitate den Lesefluss, von denen viele nur auf Englisch wiedergegeben sind. Auch wenn inzwischen viele deutschsprachige LeserInnen Englisch verstehen, dürften nicht wenige eine Übersetzung in Form von Fuß- oder Endnoten dennoch als hilfreich empfinden.
Alles in allem ist Martin Sturmers Afrika! Plädoyer für eine differenzierte Berichterstattung durch seinen systematischen Aufbau, seinen Praxisbezug und insbesondere viele aktuelle Bezüge eine lohnenswerte und aufschlussreiche Lektüre und könnte durchaus zu einem Standardwerk für (deutschsprachige) JournalistInnen und Studierende in Medienfächern wie auch der Afrikanistik werden. Empfehlenswert ebenso für alle, die sich dafür interessieren, wie die westliche Afrika-Berichterstattung der komplexen Realität in den vielen Ländern des Kontinents gerechter werden kann.
Disclaimer: Ich hatte, nachdem ich von der Ankündigung des Buches las, den Autor um ein Rezensionsexemplar gebeten und es freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt bekommen.
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