Über Linda Raftree bin ich auf eine neue Studie aufmerksam geworden, die die Praxis des „Brustbügelns“ (breast ironing oder breast flattening) in Kamerun untersucht. Für „Understanding Breast „Ironing“: A study of the methods, motivations, and outcomes of breast flattening practices in Cameroon“ hat Rebecca Tapscott Menschen in Bafut, in Nord-Kamerun befragt und präsentiert ihre Auswertung und Empfehlungen in einem lesenswerten Bericht.
Erstmals empirisch untersucht wurde die Praxis durch die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, früher GTZ). Die unveröffentlichte GIZ-Studie diente Tapscott als Basis für ihre eigene qualitative Studie. Vorliegende Daten stammen aus Kamerun, es gibt jedoch Hinweise, dass auch in anderen Ländern Westafrikas sowie in Kenia und Simbabwe ähnliche Praktiken vorkommen.
Brustbügeln, so Tapscott, muss in einem gesellschaftlichen Kontext gesehen werden, in dem Mütter ihre Töchter vor sexueller Gewalt und Ausbeutung schützen wollen. Die Praxis geschieht in einem sich rapide wandelnden Umfeld, das vor allem für Mädchen und junge Frauen viele Unsicherheiten birgt. Dazu gehören die Tabuisierung von Sexualität, ungleiche Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen sowie die fehlende Sanktionierung sexueller Gewalt. Dadurch lässt sich, so Tapscott, der Wunsch vieler Mütter, ihre Töchter vor ungewollten Schwangerschaften und sexueller Gewalt zu schützen, erklären.
Was ist „Brustbügeln“?
Laut der GIZ-Studie sind 24% der kamerunischen Mädchen betroffen. Die Arten der Anwendung sind sehr unterschiedlich. Mit erhitzten Objekten wie Stöcken, Steinen oder Blätter wird das Brustgewebe massiert. Die Häufigkeit variiert von einmalig bis hin zu mehrmals am Tag über mehrere Wochen hinweg.
Es gibt bislang keine medizinische Langzeitstudie zu den Folgen der Praxis; es überrascht aber nicht, dass sie schwere Verletzungen wie Verbrennungen, Schwellungen, Entzündungen, Fieber oder starke Schmerzen zur Folge hat. Es existieren ebenfalls keine Untersuchungen über psychische Langzeitfolgen. Die GIZ-Daten lassen aber darauf schließen, dass die Praxis die betroffenen Mädchen schwer belastet, weil viele die Praxis als Strafe begreifen, einhergehend mit dem Gefühl, ihre Eltern enttäuscht zu haben.
Was ist die Ursache?
Tapscott ist der Ansicht, dass eine Ursache für die Praxis im sozialen Wandel der kamerunischen Gesellschaft liegen könnte, der traditionelle Verhaltensweisen und soziale Normen aufweicht und damit auch Ängste auslöst.
Kamerun ist in weiten Teilen eine patriarchale Gesellschaft in der viele Frauen wirtschaftlich von Ehemännern abhängig waren. Dies ändert sich allmählich, auch, weil kamerunische Mädchen (länger) zur Schule gehen, Berufe ergreifen und damit wirtschaftlich stärker werden. Dadurch steigt auch das Heiratsalter (früher waren Heiraten üblich, sobald Mädchen ihre erste Menstruation hatten).
Vielerorts bestehen traditionelle Vorstellungen von „Reinheit“ fort, wozu auch Jungfräulichkeit vor der Ehe gehört. Viele Eltern haben Angst vor sexueller Aktivität ihrer Töchter, vor allem vor ungewollten Schwangerschaften, da diese oft dazu führen, dass Mädchen ihre Schulausbildung abbrechen müssen und später geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Auch verringert es ihre Chancen, einen Ehepartner zu finden.
Gleichzeitig ist Sexualität ein Tabu-Thema, über das nicht gesprochen wird, Verhütungsmittel sind kaum erhältlich und Abtreibung ist illegal. Aufklärung besteht oft in der Warnung „nicht mit Jungen zu sprechen“. Dazu kommen auch falsche Vorstellungen über Biologie, etwa eine mehrfach geäußerte Ansicht Erwachsener dass Brüste dann wüchsen, wenn Mädchen von Männern berührt würden oder wenn sie an Sex dächten. Damit geht die Auffassung einher, wonach das Verzögern des Brustwachstums den Beginn der Pubertät herauszögert.
Viele Männer, so Tapscott, sind der Ansicht, dass körperlich reife Mädchen „reif“ für sexuelle Aktivität sind. In Kamerun steigt zudem die Rate von Vergewaltigungen, die fast nie bestraft werden, auch das ist Grund zur Sorge für viele Eltern und kann eine Ursache für das „Brustbügeln“ sein.
Aufklärungskampagnen und was weiter getan werden sollte
Neben der GIZ führt auch die kamerunische NGO RENATA eine Aufkärungskampagne gegen das „Brustbügeln“ durch. Ihr Slogan „Do not iron breasts. They are a gift of God“ (Bügle keine Brüste. Sie sind ein Geschenk Gottes.) scheint nach Tapscott Wirkung zu zeigen, da viele ihrer GesprächspartnerInnen ähnliche Worte benutzten, was die Autorin als Zeichen dafür wertet, dass die Botschaften bei den EmpfängerInnen ankommen.
Obwohl Kamerun verschiedene internationale Menschenrechtsverträge ratifiziert hat, ist die Praxis bislang nicht strafbar. Tapscott berichtet allerdings von ersten Anzeichen, dass Kinder selbst sie zu hinterfragen beginnen, was mehrere von ihr befragte Frauen als Ursache für einen allmählichen Rückgang der Praxis anführten.
Tapscott ist der Meinung, dass eine Kriminalisierung kein wirkungsvoller Ansatz zur Beendigung der Praxis ist, vor allem, da sie aus der Absicht von Müttern heraus geschieht, ihre Töchter vor sexueller Ausbeutung zu schützen. Wirkungsvoller ist Aufklärung und öffentliche Diskussion, die die gesundheitlichen Folgen thematisieren aber auch die weitgehende Tabuisierung von Sexualität abbauen und das negative Ansehen von außerehelicher Sexualität abbaut. Dazu ist ein umfassender Ansatz nötig, der auch die Gesundheits- und Bildungsbehörden mit einbezieht.
Darüber hinaus sind auch Maßnahmen nötig, die den gesellschaftlichen Kontext, in dem Mädchen und junge Frauen häufig von sexueller Gewalt und Ausbeutung betroffen sind, ändern. Das ist nicht nur mit Aufklärung alleine nötig, sondern hat vielfältige wirtschaftliche, soziokulturelle und auch regionale Ursachen.
Gesellschaftlicher Kontext und Respekt
Die Studie ist ein interessantes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, gesellschaftliche Ereignisse in ihrem Kontext zu betrachten und zu analysieren. Das heißt nicht, dass man sie akzeptiert oder als gegeben hinnimmt – Tapscott selbst richtet ihren Bericht explizit an alle, die sich für die Rechte von Kindern und Frauen einsetzen und sich für die Abschaffung sogenannter „schädlicher traditineller Praktiken“ (harmful traditional practices) einsetzen.
Es heißt aber sehr wohl, dass man, wenn man sich engagieren will oder Maßnahmen zu Änderung bestimmter Praktiken wie dem Brustbügeln umsetzen will, den Kontext gut kennen muss. Nur wenn man sich mit dem Kontext vertraut gemacht hat, kann man entsprechende Maßnahmen formulieren und vor allem den betroffenen Menschen auch mit dem notwendigen Respekt entgegentreten.
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