Vor ziemlich genau einem Monat beherrschte Kony2012 die Medien (hier meine Beiträge dazu) – nach einer riesigen Social Media-Welle griffen auch die meisten TV-Sender und Zeitungen das Thema der Kampagne der US-NGO Invisible Children auf, welche erreichen möchte, dass Rebellenführer Joseph Kony bis Ende dieses Jahres gefangen genommen wird.
Kony ist Anführer der LRA (Lord’s Resistance Army), die bis vor etwa sechs Jahren im Norden Ugandas gewütet hat, wo inzwischen Frieden herrscht. Die LRA, derzeit laut Film rund 250 Kämpfer umfassend, wird im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo (DRC) vermutet, wo sie weiterhin Überfälle begeht und Menschen, v.a. Kinder, entführt. Auch Gemeinden in den Nachbarländern der DRC Südsudan und Zentralafrikanische Republik sind nicht sicher vor Überfällen der LRA.
Nun hat Invisible Children das Folgevideo Kony 2012 Part II: Beyond famous veröffentlicht, das aber bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit erregt, wie Teil eins. Nach nun drei Tagen seit Veröffentlichung hat das Video auf Youtoube erst gut eine Million Klicks, während Kony 2012 mit über 100 Millionen Klicks als bisher weltweite erfolgreichstes virales Video gilt.
Was ist drin?
Der Film wirkt wie eine Antwort auf die vielen Kritiken, die Teil 1 erfahren hat; vor allem ist er weit weniger emotional. Auch werden einige Fakten geradegerückt, so wird dargestellt, dass die LRA derzeit nicht in Norduganda, aktiv ist und dass sie geschätzt nur rund 250 Mitglieder umfasst. Zudem kommen nun viele Menschen aus den betroffenen Ländern zu Wort und auch einige ugandische Mitarbeiter von IC erklären die Arbeit vor Ort.
Der Film gibt einen kurzen Einblick in die programmatische Arbeit vor Ort, u.a. wird beschrieben, dass IC ein Funknetzwerk aufbaut, das als Frühwarnsystem vor Angriffen der LRA dienen soll. Wie bereits in Teil 1, wird außerdem dazu aufgerufen, sich an der Kampagne zu beteiligen. Jede/r soll seinen/ihren Parlamentsvertreter zu bitten, sich für eine Gefangennahme von Kony einzusetzen und am 20.4. soll weltweit mit Plakat- und sonstigen Aktionen auf die Kampagne aufmerksam gemacht werden. Das Action Kit von IC ist ausverkauft, der Webshop bietet jedoch noch diverse andere Merchandising Kampagnen-Artikel an.
Was sagen die ExpertInnen?
Anders als bei Teil 1 sind viele ExpertInnen, die sich kritisch über Twitter und Blogs, teils auch andere Medie geäußert hatten, relativ zurückhaltend, vermutlich, da vieles, was zu Teil 1 schon gesagt wurde, auch jetzt noch zutrifft. Ich finde z.B., dass auch wenn nun kurze Einblicke in die Programmarbeit gegeben werden, das bei weitem nicht ausreicht. Ich wüsste gerne mehr über die konkrete Arbeit vor Ort, wie diese geplant und durchgeführt wird, was die Maßstäbe der Erfolgskontrolle sind, usw. Auf der Website der Organisation gibt es dazu jeweils schöne kurze Filmchen, aber das ist mir zu viel PR und zu wenig Inhalt.
„Its complex“ – aber was genau?
Eine umfassende und aktuelle Zusammenstellung kritischer Betrachtungsweisen gibt es beim Guardian. Hier wird u.a. Craig Valters zitiert, der über die LRA forscht und der kritisiert, dass die von den Kritikern monierte extrem vereinfachte Darstellung des gesellschaftlichen Kontextes der LRA-Problematik von IC nun mit „it is complex“ beantwortet wird. Aber nicht mehr. Genau hier erwartet man eigentlich eine genauere Erklärung, was denn nun genau so komplex ist – Analyse und Verständnis dessen sind Grundlage jeder erfolgreichen Intervention in der humanitären Hilfe/Entwicklungszusammenarbeit.
Das Problem mit der militärischen Intervention
Valters kritisiert ebenfalls, dass eine militärische Intervention als Lösung propagiert wird; auch das war eine der Hauptkritiken vieler an Teil 1. Immer wieder wird auch darauf hingewiesen, dass die LRA kein isoliertes Phänomen ist, sondern im Zusammenhang mit den Entwicklungen in Uganda und der gesamten Region gesehen werden muss, zum Beispiel in einem zwei Jahre alten Artikel von Andrea Böhm in der ZEIT. Hier wird deutlich, dass die LRA in den verschiedenen Jahren ihres Bestehens von unterschiedlichen Regierungen gestützt wurde (während des Bürgerkrieges im Sudan bis 2005 z.B. aus Khartoum, da die ugandische Regierung die südsudanesische SPLA unterstützte).
Bekannt ist auch weithin, dass die ugandische Armee nicht einfach unfähig war, Kony und die LRA zu fangen, sondern dass hier massive Eigeninteresse und gigantische Korruption eine große Rolle spielten. Das Militär profitierte von erhöhtem Budget und hatte daher kein allzu großes Interesse daran, die LRA rasch auszuschalten. Schätzungsweise gab es z.B. 20.000 „Schattensoldaten“, die nur auf dem Papier existierten, und deren gezahlter Sold in den Taschen ranghoher Militärs verschwand (siehe z.B. einen Beitrag von Michael Wilkerson bei Foreign Policy).
Wer sich für eine sehr detaillierte Darstellung der Ereignisse in Uganda seit Beginn der 1980er interessiert, der/dem sei die fünfteilige Blog-Serie von Charles Onyango-Obbo, einem ugandischen Journalisten, der seit dieser über ugandische Politik berichtet, empfohlen. Sein Standpunkt zu Kony 2012 ist übrigens weniger kritisch als der vieler anderer afrikanischer aber auch westlicher KritikerInnen.
Die evangelikal-fundamentalistischen Verbindungen von IC
Viele Kritiker von IC monieren darüber hinaus, dass die Organisation anscheinend eine christlich-fundamentalistische Agenda hat. Der Guardian verlinkt auf einen Beitrag des Journalisten Bruce Wilson, der Verbindungen von IC zu dem weltweit agierenden evangelikalen Netzwerk „The Fellowship“ nachweist. „The Fellowship“ hat in Uganda u.a. massiv Einfluss auf eine kürzlich verabschiedetes Gesetz zur Kriminalisierung von Homosexualität Einfluss genommen. In seinem Artikel beschreibt Wilson die vielfältigen Verflechtungen zwischen dem evangelikalen Netzwerk, (amerikanischen und ugandischen) Politikern, Unternehmen und eben IC. Das macht die Organisation in meinen Augen nicht eben vertrauenswürdiger.
Teil 2 ist also weniger emotional (daher wohl auch weit weniger erfolgreich), in Augen von KritikerInnen immer noch nicht ausreichend, und beinhaltet wenig Neues oder Überraschendes.
Bleibt abzuwarten, wie viele Menschen sich am Aufruf von IC, am 20.4. (ich wüsste übrigens gerne, ob das Datum zufällig oder auch aus symbolischen Gründen gewählt wurde) Aktionen zu starten und überall zu plakatieren, beteiligen werden.
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