Mats Utas, schwedischer Ethnologe am Nordic Africa Institute in Uppsala, befasst sich in einem aktuellen Blogbeitrag damit, wie die soziale Kategorie „Jugend“ in Sierra Leone und Westafrika im Allgemeinen konstruiert wird und welche Auswirkungen das auf (Entwicklungs)projekte hat haben sollte. Diese arbeiten nämlich zumeist mit einer engen, an westliche Standards angelehnte Auffassung von Jugend, die in vielen nicht-westlichen Kontexten aber nicht zutrifft.
Die gängigen westlichen Auffassungen von Jugend geben das Jugendalter mit etwa 13-21 Jahren an, danach gilt man als erwachsen, ohne dass dabei weitere soziale Merkmale eine wesentliche Rolle spielen (ledig/verheiratet, beschäftigt/arbeitslos, etc.).
Utas zeigt, dass die Kategorie „Jugendliche“ in Westafrika eine sehr große Anzahl junger Männer, viele davon über 25 Jahre alt, einschließt. Eine Fallstudie einiger junger, armer Männer zwischen 25 und 30 in Sierra Leone illustriert, dass diese immer noch als Jugendliche gelten, da sich die Kategorie „Jugendlicher“ hier weniger nach dem Alter, sondern vielmehr anhand sozialer und wirtschaftlicher Kriterien definiert.
Die Jugendlichen vom „Pentagon“
In Sierra Leone leben viele Menschen in extrem prekären Bedingungen. Selbst jene, die Arbeit haben, verdienen oft kaum genug zum Leben. Utas beschreibt seine Beobachtungen an einer Straßenecke in Freetown, „Pentagon“ genannt. Hier kommen vor allem junge Männer zusammen, halten sich mit Gelegenheitsjobs und Kleinkriminalität über Wasser, machen Spaß miteinander und warten darauf, dass sie vielleicht als Tagelöhner engagiert werden.
Utas‘ sieht Parallelen zu vielen anderen Ländern, etwa Nigeria oder Somalia, wo sich junge Männer radikalisieren, u.a., weil sie zu wenig Möglichkeit der wirtschaftlichen Teilnahme haben. Auch in vielen anderen Ländern Westafrikas ist der Anteil junger Männer, die keine Arbeit finden, sehr hoch. Im Senegal zum Beispiel protestierten im März dieses Jahres vor allem viele junge Männer gegen die Wiederwahl des Präsidenten Wade.
Nur am Rande erwähnt der Autor übrigens junge Frauen. Meiner Vermutung nach fallen auch Frauen zwischen 20 und 30 in die Kategorie Jugendliche, aber wohl seltener als Männer. Einmal, wie der Autor schreibt, da sie im afrikanischen Kontext weniger „draußen“ auf der Straße, sondern vielmehr „drinnen“ im Haus leben und andere Arbeiten verrichten.
Dann auch, nach meinen eigenen Beobachtungen, da viele Frauen bereits in jungem Alter heiraten (meist ältere Männer) oder früh Kinder bekommen, auch ohne verheiratet zu sein. Der Status „Mutter“ löst dann allmählich den Status „Jugendliche“ ab.
„Jugend“ – nicht bloß eine Altersfrage
Nach Utas gehören der sozialen Kategorie Jugendlicher viele Menschen, die unter schwierigen ökonomischen Bedingungen leben, die „noch keine Kinder sind aber erst noch zu sozialen Erwachsenen werden müssen“. Diese „sozialen Jugendlichen“ sollten daher verstärkt zur Zielgruppe künftiger Interventionen werden und weniger die rein über das Alter definierten Jugendlichen.
Daraus wiederum sollte die Politik Schlussfolgerungen ziehen und bei der Planung und Durchführung künftiger Jugendprojekte einige Punkte beachten.
1. Junge, marginalisierte Männer verstärkt in den Fokus der Arbeit rücken
Utas plädiert dafür, die gängige Definition von Jugend um die sozio-ökonomische Kategorisierung zu erweitern und unter Beachtung von Genderaspekten auf die Teilnahme junger, benachteiligter Männer vor allem aus städtischen Gegenden zu achten.
Derzeit stehen verstärkt junge Mädchen und Frauen im Fokus der EZ, was aber eine große Gruppe junger Männer ausschließt. In einem kürzlich veröffentlichen Beitrag im Guardian wies auch Andrea Cornwall, britische Entwicklungsforscherin, auf die Notwendigkeit hin, neben Mädchen auch Jungen genau so in die Arbeit mit einzubeziehen, nur dann lässt sich wirklich gender equality erreichen.
2. Abrücken vom ausschließlichen Fokus auf das Alter und verstärktes Beachten des sozialen Hintergrundes
Laut Utas profitieren derzeit zu oft bessergestellte Jugendliche von jugendspezifischen Entwicklungsprojekten, welche viele von diesen regelrecht „besetzt“ („hi-jacked“) haben, da sie über eine bessere Lobby verfügen.
Inwieweit dies tatsächlich zutrifft, kann ich nicht sagen, allerdings sind mir durchaus Beispiele von Projekten bekannt, die sich vor allem an bessergestellte Jugendliche richten (z.B. solche, die Abitur machen können und eine Fremdsprache sprechen). Gleichzeitig stimme ich Utas darin zu, dass es wichtig ist, die Definition von „Jugend“ anzupassen und Projekte besser danach auszurichten.
3. Projekte für Jugendliche müssen kontextspezifisch sein, d.h. sie müssen vor Ort geplant werden und sich am tatsächlich festgestellten Bedarf orientieren
Das ist eine vieldiskutierte Frage innerhalb der EZ, denn natürlich betonen gerade viele Nichtregierungsorganisationen, dass sie genau so arbeiten und viele Menschen halten es schlicht für selbstverständlich, dass Projekte derart geplant werden.
Das ist es aber leider nicht, aus vielerlei Gründen. Geberorganisationen haben bestimmte Vorgaben, die erfüllt werden müssen, sonst gibt es keine Mittel. Dazu gehört z.B. auch die Definition von Jugendlichen rein auf dem Alter basierend. Auf Spenden angewiesene Organisationen haben Marketingkonzepte, die bestimmte Projekte nicht verkaufen wollen (intern wird von der „Sexy-ness“ von Projekten gesprochen). Junge, arme Männer sind dann weit weniger „sexy“ als kleine Kinder mit großen Augen.
Dennoch, Utas‘ Anmerkung ist absolut richtig und nur der tatsächlich vor Ort bestehende Bedarf sollte ein Vorhaben inspirieren, nicht Richtlinien oder Vorlieben von Geldgebenden.
4. Bessere Zusammenarbeit mit bestehenden Systemen und Stärkung lokaler Strukturen
Laut Utas herrscht ein viel zu geringes Verständnis der vielfältigen lokalen wirtschaftlichen Strukturen; überall auf der Welt gibt es informelle Arbeits- und Dienstleistungsmärkte, darin eben so viele Ausbildungssysteme. Diese, so Utas, müssten besser verstanden werden, damit man sie gezielt stärken und für eine bessere Qualifizierung junger Menschen einsetzen könnte.
So weit, so interessant. Leider dauert es oft sehr lange (oder passiert nicht), dass solche Empfehlungen von Politik und Projektplanenden umgesetzt werden. Dennoch ist es möglich, dass allmählich ein Umdenken einsetzt, nichtzuletzt, weil die Gefahren der Radikalisierung und Instabilität in vielen Gesellschaften bestehen und mit der zunehmenden Anzahl arbeitsloser junger Menschen eher mehr als weniger werden.