Fehler sind menschlich. Kein Bereich des Lebens, Arbeit, Privat, In- oder Ausland ist frei von Fehlern – und oft führen vermeintliche Fehler auch in ganz neue, vorher undenkbare Richtungen. Viele Menschen tun sich allerdings schwer damit, Fehler zuzugeben (und da nehme ich mich absolut nicht aus). Generell herrscht auch ein eher Fehler-feindliches Klima. Natürlich sind Fehler per se nicht immer erstrebenswert, aber sie lassen sich nun mal nicht vermeiden und daher sollte man einen konstruktiven Umgang damit finden.
In der Entwicklungszuammenarbeit, wo sehr hohe Beträge an öffentlichen Geldern und privaten Spenden ausgegeben werden, tut man sich jedoch meist schwer mit dem Eingestehen von Fehlern. Sie sind irgendwie nicht vorgesehen und werden oft verschwiegen oder schöngeredet – dabei sollte jedem einleuchten, dass bei einem Projekt mit mehrjähriger Laufzeit am Ende doch Vieles anders aussieht, als es vor Jahren einmal geplant wurde.
Von der (partizipativen?) Planung zum Erfolg? Nicht zwangsläufig.
Ein Projekt wird geplant, idealerweise in einem partizipativen Planungsprozess, der alle Beteiligten repräsentiert sind, von der Mitarbeiterin der Geberorganisation bis zu VertreterInnen der „Klienten“, also jener Personen, denen das Vorhaben später nutzen soll (einfaches Beispiel: Gesundheitspersonal, Eltern und Kinder aus einem Dorf, dass eine neue Gesundheitsstation erhalten soll).
Im Lauf des (partizipativen!) Planungsprozesses wird ein Problem identifiziert („Wir Bewohner von Dorf x haben vor Ort keinen Zugang zu medizinischer Basisversorgung“), die bestmögliche Lösung skizziert („wir bauen und rüsten eine kleine Gesundheitsstation aus, die von zwei staatlich bezahlten Krankenschwestern geführt wird, welche wir wiederum zu einem Training schicken“) und das ganze dann in einen Projektantrag verpackt, bestehend aus Projektkonzept, Planungsmatrix (Logical Framework) und einem detaillierten Budget.
Hat man schließlich das Geld vom Geber akquiriert oder genügend Spenden gesammelt, um das Projekt umzusetzen, wird es in vielen Fällen kompliziert.
Was, wenn sich zu Beginn oder im weiteren Verlauf des Projektes herausstellt, dass
- Baumaterialien zu teuer geworden sind, so dass das Budget nur noch für den Bau des Gebäudes, nicht aber für die Ausstattung reicht?
- die Krankenschwestern zum Training gehen, danach aber einen besser bezahlten Job in der Hauptstadt oder im Ausland annehmen?
- kurz nach Projektbeginn eine von einem anderen Geber/einer anderen NGO finanzierte Gesundheitsstation im gleichen Dorf x eröffnet wird und die Einwohner von Dorf x nun die zweite Station nicht mehr wollen, dafür aber dringend einen Anbau an das marode Schulgebäude benötigen? (Das Projektbudget aber zweckgebunden ausgegeben werden muss?)
- aufgrund von Kommunalwahlen der Ansprechpartner in der Distriktverwaltung wechselt, der findet, dass die NGO alle Arbeiten einstellen muss, bevor sie nicht ihre Lizenz, im betreffenden Gebiet tätig zu sein, erneuert hat. Dauer unbekannt.
- sich herausstellt, dass die Kommunalregierung entgegen vorheriger Absprachen weder die Gehälter des Gesundheitspersonals zahlt/zahlen kann und nicht gewillt ist, Medikamente bereitzustellen.
- Projektpersonal innerhalb der NGO versetzt wird, so dass keine Berichte für den Geber erstellt werden können und der daraufhin die nächste Rate zurückhält?
- sich herausstellt, dass weniger als die Hälfte der Menschen im Ort die Gesundheitsstation nutzen, weil sie sich die (geringen) Nutzungsgebühren nicht leisten können?
- sich herausstellt, dass die Menschen es vorziehen, in das neue, mit Ärzten besetzte Distriktkrankenhaus in der 10 km entfernten Stadt gehen und im Dorf weiterhin eher die traditionellen Heiler konsultieren?
- …
Ständig passieren überall solche unvorhergesehenen Dinge; nicht immer handelt es sich um grob fahrlässige Fehler. Allzu liegt das daran, dass fehlerhafte Annahmen und Hypothesen bestimmten Handlungen zugrunde lagen. Und dann sind da natürlich noch die „unvorhergesehenen Ereignisse“, die vor 6, 12 oder 24 Monaten einfach niemand hatte vorhersehen können.
Im o.g. Beispiel hätte man z.B. wissen müssen, welche Aktivitäten andere Organisationen vor Ort unterstützen, um nicht die zweite Gesundheitsstation zu finanzieren, die dann plötzlich nicht mehr gebraucht wird. Auch hätte man eine Erhebung darüber machen können, ob die Menschen sich Gebühren leisten können oder ob man alternative Modelle testen muss.
Etwas anders gelagert sind Vereinbarungen, die nicht eingehalten werden oder Menschen, die sich dagegen entscheiden, eine Dienstleistung zu nutzen, die sie vor Kurzem noch gewünscht hatten – schwierig, das vorauszusagen. Vor allem, wenn man den lokalen Kontext nicht gut kennt. Aber so ist das eben mit Menschen: Verhalten lässt sich nicht planen und nur ungefähr voraussagen.
Fehler? Doch nicht bei uns.
Viele, wahrscheinlich die meisten, Entwicklungsorganisationen sind sehr zurückhaltend mit der Darstellung von Fehlern, die in der täglichen Programm- und Projektarbeit passieren. Dabei sind sie mehr oder weniger an der Tagesordnung.
Nicht immer handelt es sich um sehr schwere Fehler, oft geht es einfach um Abweichungen von der Planung (die allerdings durch aus Geld kosten oder eine Verschiebung der Ziele und Inhalte eines Vorhabens bedeuten). Dennoch heißt es nach außen hin immer „alles super“.
Das liegt daran, dass sowohl öffentliche Geber (Regierungen, staatliche Entwicklungsagenturen) als auch SpenderInnen erwarten, dass mit ihrem Geld verantwortungsvoll umgegangen wird. Daher will niemand auch nur den Anschein eines Eindrucks erwecken, nicht kompetent zu arbeiten oder unverantwortlich mit Projektgeldern umzugehen.
Schreibt man selbst Berichte für Geberorganisationen und SpenderInnen, dann ist nicht selten Kreativität und Einfallsreichtum gefragt, wenn man erklären muss, warum das Projekt jetzt aber doch sechs Monate länger läuft, als geplant oder warum anstatt einer Gesundheitsstation doch ein Klassenraum gebaut wurde – was aber eigentlich auch viel sinnvoller als der ursprüngliche Plan war.
Das ist eigentlich schade, denn Fehler passieren, Fehler sind menschlich und ein offener und ehrlicher Umgang damit kann sogar helfen, es nächstes Mal besser zu machen, anstatt Dinge unter den Tisch zu kehren, die nun mal passiert sind. Allerdings gelten EZ-Projekte nur dann als erfolgreich, wenn alle Ziele erreicht (und alle Mittel ausgegeben) worden sind. Ob die erbaute Gesundheitsstation dann wirklich genutzt wird, ob das Personal gerne dort arbeitet und inwieweit staatliche und zivilgesellschaftliche Partner ihre Zusagen in Bezug auf Finanzierung und Instandhaltung wirklich einhalten – geschenkt.
Hauptsache, wir haben die Ziele erreicht und das Budget möglichst auf den Cent genau ausgegeben.
Es geht auch anders: der failure report von EWB
Vorbildlich geht die kanadische Organisation Engineers Without Borders mit ihren Fehlern um. Sie gibt seit 2008 neben dem regulären Jahresbericht einen jährlichen failure report heraus. Darin berichten MitarbeiterInnen über Fehler, die in ihren Projekten passiert sind und die Schlüsse, die sie daraus für die weitere Arbeit ziehen.
So gehören zu den gängigen Fehlern, über die MitarbeiterInnen offen schreiben, dass nicht genügend kommuniziert wurde. In vielen Fällen hatten die (westlichen) ProjektmitarbeiterInnen bestimmte Annahmen über den lokalen Kontext getroffen, die sich als falsch oder unvollständig erwiesen.
Viele schreiben im Bericht darüber, wie sehr sie anfangs oft nur „ihre“ eine Lösung eines Problems im Kopf hatten, und ihnen erst hinterher auffiel, dass es viele weitere mögliche Ansätze gegeben hätte, die sie zu Beginn eines Planungsprozesses aber nicht sehen wollten. Erst im Lauf des schiefgehenden Projektes bemerkten sie, was sie zu Beginn hätten anders machen müssen.
Die Zeit ist reif für einen ehrlichen Umgang mit Fehlern
Ich finde, dass es an der Zeit ist für ein Umdenken in der EZ. Jeder Mensch macht Fehler und es ist – auch und gerade von SpenderInnen und Geberorganisationen – kurzsichtig und unrealistisch zu erwarten, dass gerade die EZ keine Fehler machen darf.
Natürlich muss mit Projektgeld immer verantwortungsvoll umgegangen werden, aber niemand kann ernsthaft erwarten, dass ein Vorhaben mit einer Laufzeit von 3, 4, 5 Jahren über diesen Zeitraum genau so abläuft, wie vor langer Zeit einmal am Reißbrett in einem (partizipativen) Prozess geplant.
Und da Fehler nun mal immer und überall passieren, ist es ehrlicher und auch im Sinne einer zielgerichteten Organisationsentwicklung, Fehler zuzugeben, zu analysieren und daraus zu lernen, um es nächstes Mal besser machen zu können. Das gehört zum Ideal der „lernenden Organisation“, als die sich ja viele inzwischen verstehen.
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