Über Facebook erreichte mich kürzlich ein verstörendes Bild (das ich hier nicht wiedergeben möchte, da ich es unsachlich finde): Oben mangelernährte schwarze Kinder, unten offensichtlich gut angezogene Frauen mit Kopftüchern, denen eine westlich aussehende Frau Wasserflaschen reicht. Vermutlich Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in einer westeuropäischen Stadt.
„Sorry guys, we are too busy helping these…“ „Tut uns leid, aber wir haben leider alle Hände voll zu tun mit diesen…“ lautet der Text zum Bild. Er impliziert, dass Kinder (in „Afrika“) nun hungern müssen, weil vermeintlich wohlhabende Menschen als Flüchtlinge nach Europa kommen.
Eine Freundin fragte mich, was ich von dem Bild halte. Ich habe lange darüber nachgedacht – und weil es mich so lange beschäftigt hat, schreibe ich hier ein paar Zeilen darüber.
„Wir“ und „sie“
Hier ist wieder ein „wir“ und „sie“ – es gibt „uns“, die vermeintlich guten Menschen und „sie“, die anders sind als „wir“. In diesem Fall sogar zwei Kategorien von „sie“: Die armen Kinder, denen nun nicht mehr geholfen werden kann und die vermeintlich wohlhabenderen Flüchtlinge, die, so die implizite Botschaft, dafür verantwortlich sind, dass Geld an anderer Stelle fehlt.
Es ist menschlich, andere Menschen in Gruppen einzuteilen; tagtäglich erleben wir uns als Teil verschiedener „wirs“ und betrachten andere Menschen als Mitglieder diverser Gruppen („sie“). Sobald aber eine Bewertung, bzw. Abwertung anderer Menschen und Gruppen damit einhergeht, wird diese Kategorisierung unfair und kippt schnell in Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Dabei ist auch positiver Rassismus möglich, so wie in dem „armen Kind aus Afrika“-Bild, das so sehr in unseren Köpfen verankert ist. Eine Gruppe gegen eine andere auszuspielen, wirtschaftlich benachteiligte Kinder gegen Flüchtlinge in diesem Fall, ist nicht akzeptabel und lässt sich auch nicht halten, wenn man die Fakten betrachtet.
Hilfen für Kinder und für Flüchtlinge: zwei Paar Schuhe
Beide Gruppen, Kinder aus Entwicklungsländern sowie in Europa (z.B. Deutschland) ankommende Flüchtlinge, erhalten Unterstützung in unterschiedlicher Form und aus unterschiedlichen Etats. Es stimmt nicht, dass eine Gruppe der anderen etwas wegnimmt.
Die deutschen Entwicklungsgelder werden hauptsächlich durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) vergeben; kleinere Etats verwalten außerdem das Außen-, das Bildungs- und das Umweltministerium. Im laufenden Haushaltsjahr beträgt der Etat des BMZ rund 6,5 Mrd. Euro. In den kommenden Jahren wird der Etat weiter steigen.
Für die Unterstützung für Flüchtlinge sind in Deutschland verschiedene Ebenen zuständig; das meiste übernehmen die Kommunen. Die ZEIT schätzt, dass im laufenden Jahr rund 10 Mrd. Euro dafür benötigt werden. Zuständig für Flüchtlingsfragen ist das Innenministerium, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstellt ist.
Hilfe – ein rein finanzielles Problem?
Bei all diesen Diskussionen frage ich mich immer, warum es so oft ums Geld geht. Natürlich wird Geld benötigt. Gleichzeitig ist doch in erster Linie Menschlichkeit geboten. Menschen suchen Zuflucht – und wer sind wir, um ihnen diese zu verwehren? Wir können nicht bewerten, was andere Menschen durchgemacht haben, um eine lebensbedrohliche Odyssee auf sich zu nehmen. Wir können uns nicht vorstellen, welche Gründe Menschen haben, um Heimat und oft genug Familie und Freunde zurückzulassen, um sich auf den Weg ins Ungewisse zu machen – alleine mit der Hoffnung ausgestattet, irgendwo einen Ort zu finden, an dem ein Leben in Sicherheit möglich ist.
Härteres Vorgehen gegen Schleuser ist gerade ein großes Thema der Politik – aber warum gibt es überhaupt Schleuser – darum, weil es kaum legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge gibt. Syrische Flüchtlinge erhalten derzeit ohne aufwändige Prüfung einen Aufenthaltstitel für Deutschland; das Dublin-II-Verfahren wurde für sie ausgesetzt. Auch Flüchtlinge aus Eritrea und dem Irak erhalten ein beschleunigtes Asylverfahren. Warum ist es dann nicht möglich, ihnen Visa auszustellen, bevor sie sich auf die teure, gefährliche und ungewisse Flucht machen müssen?
Migration und Entwicklung bedingen sich gegenseitig
Viele Ökonomen (z.B. Marcel Fratzscher im oben verlinkten ZEIT-Artikel) sind der Ansicht, dass es viel zu kurzsichtig ist, die aktuelle Diskussion im Hinblick auf Kosten für Flüchtlinge zu führen. Weit konstruktiver ist es, längerfristig zu überlegen, welche Vorteile Zuwanderung bringt, etwa im Hinblick auf Ausgleich der sinkenden Bevölkerungszahlen in Deutschland.
Auch im internationalen Entwicklungsdiskurs gibt es schon lange die Diskussion darüber, wie Entwicklung und Migration zusammenhängen. Lange bekannt ist die Zahl, wonach MigrantInnen weit mehr Gelder in ihre Heimatländer schicken, als im gleichen Zeitraum an staatlichen Entwicklungsgeldern fließen. Die Weltbank schätzt etwa, dass 2011 351 Mrd. USD an Remittances (Rücküberweisungen) 133,5 Mrd. USD an Entwicklungsgeldern für Entwicklungsländer gegenüberstanden.
Abgesehen davon, dass Migration Kernbestandteil der menschlichen Geschichte ist – ohne sie gäbe es uns alle nicht – ist sie ebenso Kernbestandteil von Entwicklungsprozessen und sorgt langfristig unterm Strich für positive Ergebnisse.
Kurzfristig gesehen sind wir als Menschen in der Pflicht, anderen Menschen zu helfen, die uns um Hilfe bitten.