Seit Mitte dieser Woche macht im Internet die Kampagne Kony 2012 der US-NGO Invisible Children die Runde; #kony2012 und #stopkony sind Toptrends bei twitter, das halbstündige Video wurde über 50 Millionen Mal angeklickt und inzwischen haben auch alle größeren deutschen Medien darüber berichtet – wenn auch mit teils unangemessenen reißerischen Schlagzeilen.
Nachdem über meinen Twitterfeed seit zwei Tagen quasi minütlich neue kritische Links hereinkommen, setzt sich allmählich auch die deutsche Blogosphäre mit der Kampagne und ihrem Inhalt auseinander. Wer nicht genug bekommen kann, hier eine sehr umfassende Linkliste zum Thema (auf Englisch).
Eigentlich wollte ich zum Thema weder twittern noch bloggen, da sehr viel Gutes bereits dazu gesagt wurde und die Kampagne schon mehr als genug Aufmerksamkeit bekommt, aber zu stark war dann doch mein Impuls, (auf deutsch) Stellung zu nehmen.
Was ist „Kony 2012“?
Die Kampagne Kony 2012 will den ugandischen Kriegsverbrecher Joseph Kony weltweit bekannt machen und dadurch erreichen, dass sich die US-Regierung für seine Festnahme durch die ugandische Armee, auch mit Zuhilfenahme des US-Militärs einsetzt.
Dieses Ziel wollen die Initiatoren der US-NGO Invisible Children bis zum 31.12.2012 erreicht haben. Dazu haben die Initiatoren der Kampagne, darunter CO- Gründer der NGO Jason „Radical“ Russel, einen Film gedreht, der Konys Terror in Norduganda zeigt, wo seine im wesentlichen aus Kindersoldaten bestehende „Lords Resistance Army“ (LRA) Dörfer überfällt und weitere Kinder entführt. Das Publikum des Films wird aufgefordert, sich an Politiker zu wenden und die Kampagne durch Kauf des „Action Kits“ für 30 US$, bestehend aus T-Shirt, Armband und Poster, über die Website von Invisible Children zu unterstützen.
Warum wird die Kampagne kritisiert?
In kürzester Zeit hat sich das Video übers Netz verbreitet und der Erfolg ist, das geben selbst die schärfsten KritikerInnen zu, beachtlich und kann anderen NGOs als Lehrstück in Sachen viraler Kampagnen dienen.
Allerdings, und hier beginnt die Kritik, stellt sich die Frage, welchen Preis diese Kampagne wirklich hat. Dazu zunächst ein kleiner Faktencheck:
Aktualität: Joseph Kony und die LRA operieren seit etwa 5 Jahren nicht mehr in Norduganda; die Situation dort gilt inzwischen als Postkonfliktsituation, es gibt keinen bewaffneten Konflikt mehr. Die LRA hat sich mittlerweile in das unübersichtliche Grenzgebiet zwischen Südsudan, Zentralafrikanischer Republik und der Demokratischen Republik Kongo zurückgezogen. Auch besteht sie Schätzungen zufolge nurmehr aus wenigen hundert Kämpferinnen.
Dies soll in keinster Weise relativieren, dass die LRA nach wie vor besteht und schlimme Verwüstungen und Morde begeht, allerdings ist falsch, wie der Film suggeriert, dass Norduganda immer noch betroffen ist.
Aktuelle Informationen zur LRA gibt es derzeit nur wenige auf deutsch; hier ein Artikel von ZEIT online von 2011; eine gute englischsprachige Quelle ist der Guardian, der auch viele kritische Stimmen zur Kampagne bündelt.
Vereinfachung: Der Film erklärt die Situation auf einfachste Weise: Kony ist der „bad guy“, den man lediglich fangen muss, um „den Lauf der Geschichte“ zu ändern. Jason Russell erklärt im Film seinem kleinen Sohn, das Daddy den Bösen jagt, um Afrika zu helfen – was zeigen soll, dass selbst Dreijährige das verstehen können.
So einfach ist es aber nie. Wie in allen Konflikten, so kann man auch im Konflikt in Norduganda nicht einfach von gut und böse sprechen. Der Konflikt hat eine sehr lange Geschichte, in deren Verlauf nicht nur die LRA sondern auch die ugandische Armee, deren Befehlshaber Präsident Museveni seit 1986 an der Macht ist, Kriegsverbrechen an der lokalen Bevölkerung begangen haben. Kony ist kein irrer Einzeltäter sondern ist Teil einer komplexen Situation, deren vielschichtige regionalen Konfliktlinien sich über Jahrzehnte gespannt haben. Die Festnahme einer einzelnen Person wird an der problematischen Situation wenig bis gar nichts ändern.
Zudem ist die Annahme zumindest zweifelhaft, eine Intervention von außen (zumal durch das US-Militär) könne dazu beitragen, einen Konflikt dauerhaft zu lösen. Viele KommentatorInnen weisen zu Recht darauf hin, dass eine lokale Lösung gefunden werden muss, die alle beteiligten Regierungen (Uganda, Südsudan, DRC, Zentralafrianische Republik) mit einbeziehen muss.
Darstellung der „AfrikanerInnen“: Dies ist der Punkt, der am meisten Diskussion ausgelöst hat, nicht zuletzt unter Bloggern afrikanischer Herkunft. Viele ugandische Journalisten, AktivistInnen aus anderen afrikanischen Ländern aber auch westliche BloggerInnen haben darauf hingewiesen, dass Kampagnen wie Kony2012 eine vollkommen unzeitgemäße und unverantworltliche Darstellung von „Afrika“ und „AfrikanerInnen“ verbreiten und damit dazu beitragen, dass sich hartnäckig ein Bild von Afrika als armem, Konflikt-geplagtem Kontinent hält, dessen Menschen sich nicht selbst helfen können und die nichts als als passive Opfer sind.
Dazu kommt eine bedenkliche Darstellung traumatisierter Kinder im Film, was niemals mit „auf etwas aufmerksam machen“ gerechtfertigt werden darf. Hier ist die Kampagne schlicht unethisch – niemals würden weiße, europäische Kinder im deutschen Fernsehen so gezeigt werden.
Besser keine Kampagne als eine schlechte?
Ist es aber nicht besser, schlechte Kampagnen durchzuführen, als gar keine? Immerhin kennt nun tatsächlich die ganze Welt Joseph Kony.
Die Antwort lautet schlicht: Nein! Kampagnen wie diese verbreiten ein viel zu einfaches WeltAfrikabild. Es gibt kein einfaches „good guy vs. bad guy“ und eine immergleiche Darstellung von „AfrikanerInnen“ als Opfer trägt nur dazu bei, bestehende Stereotype weiter zu verfestigen. Viele KritikerInnen der Kampagne betonen, dass dies ein weiterer Ausdruck westlichen Paternalismus und Neokolonialismus sei, ausgedrückt durch das westliche Helfersyndrom, das AfrikanerInnen vorgibt, wie sie ihre Entwicklung am besten zu gestalten zu haben.
Ich finde es schlicht unverantwortlich, komplexe Situationen wie jene in Uganda auf einfache Schwarzweißformeln herunterzubrechen, noch dazu, wenn man dabei bestehende Fakten ignoriert. Es reicht nicht, Aufmerksamkeit um jeden Preis erzeugen zu wollen, dies muss mit Verantwortung und Respekt denjenigen Menschen gegenüber geschehen, denen man vermeintlich helfen will.
StopKony ist keine gute advocacy, sondern badvocacy, da sie suggeriert, die Menschen in Norduganda bräuchten nur genügend Aufmerksamkeit aus dem Westen um die vermeintlichen Probleme zu lösen.
Abgesehen davon bleibt die Kampagne eine Antwort darauf schuldig, was mit dem eingenommenen Geld geschehen soll und was überhaupt der programmatische Ansatz ist, der dahinter steht. Auch die Website der NGO gibt darüber keine Auskunft, es scheint weder Strategie noch programmatische Konzepte zu geben. Sehr dünn für eine Organisation deren Gründer angibt, „das Konzept der humanitären Hilfe redefinieren“ zu wollen und die mit der aktuellen Kampagne vermutlich mehrere Millionen an Spenden einnehmen wird.
Das ist aber das mindeste, was man von einer seriösen Organisation erwarten sollte. Viele Probleme in der Entwicklungszusammenarbeit gehen auf unausgereifte Ansätze zurück; dazu gehört auch die Ansicht, dass Geld alleine es schon richten wird.
Viele Probleme in der Entwicklungszusammenarbeit könnten vermieden werden, wenn PlanerInnen lokale Kontexte besser verstehen und berücksichten würden.
Mehr Verständnis für die Probleme, aber auch für die Chancen und Möglichkeiten einer modernen Entwicklungszusammenarbeit wiederum könnte durch eine verantwortungsvolle Kampagnenarbeit geschaffen werden, von der wir jedoch weit entfernt sind. (Siehe dazu z.B. auch den aktuellen Film „White Charity“ über die Spendenwerbung deutscher Entwicklungsorganisationen.)
Kony 2012 ist daher inhaltlich gesehen keine gute, sondern eine schlechte und kontraproduktive Kampagne.