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Es herrscht Krieg zwischen Südsudan und Sudan

Was viele befürchtet hatten, scheint in diesen Tagen leider wahr zu werden: Ein neuer Krieg zwischen Südsudan und Sudan. Aus dem Bürgerkrieg, der mit dem Friedensschluss von 2005 und der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 ein Ende finden sollte, könnte nun ein Krieg zwischen zwei souveränen Staaten werden.

http://www.economist.com/node/17851399

Nachem Südsudan das strategisch bedeutende Ölfeld Heglig in der vorigen Woche erobert hat, bekriegen sich die Armeen nun mit Luft- und Artillerieangriffen. (Gekämpft wird zzt. westlich der rot eingezeichneten Region Abyei).

Heglig, offiziell zum Norden gehörig, ist schon lange ein strittiger Punkt, da beide Seiten, Süden wie Norden, das Gebiet für sich reklamieren. Eine Kommission hatte im Zuge der Grenzziehung zwischen beiden Staaten festgestellt, dass Heglig zum Norden gehöre, was der Südsudan aber bis heute nicht anerkennt. Dominic Johnson beschreibt weitere Hintergründe in der heutigen taz.

Der Journalist Alan Boswell berichtet vor Ort, dass es seit der vergangenen Woche immer wieder zu Kämpfen mit dutzenden Toten zwischen den Armeen beider Länder gekommen ist. Beunruhigend ist seine Feststellung, wonach Rebellen aus Darfur, zum Teil mit Kampferfahrung und Waffen aus dem Bürgerkrieg in Libyen, auf der Seite der südsudanesischen Armee kämpfen.

Auf Facebook ist heute außerdem zu lesen, dass die südsudanesischen Parlamentarier 10% ihres Verdienstes an das Militär abgeben.

Rückblick: Im Juli 2011 erklärte der Südsudan seine Unabhängigkeit vom Norden, nachdem seit den 1950er Jahren zwei jahrzehntelange Bürgerkriege zu Massenvertreibungen, Elend und Millionen Toten geführt hatten.

Von vielen vorausgesagt worden ist, dass das Öl, das im Grenzgebiet der beiden Staaten gefördert wird, großes Konfliktpotenzial besitzt.

Nach der Unabhängigkeit verlangte Sudan von Südsudan hohe Durchleitungsgebühren für das Öl, das im Süden gefördert, aber nur über Pipelines, die durch den Norden verlaufen, abtransportiert werden kann.

Südsudan stellte zu Beginn dieses Jahres die Ölförderung ein. Mit der Besetzung von Heglig sollen nun anscheinend Fakten geschaffen und der Besitzanspruch des Südsudan darauf zementiert werden.

Was ist eigentlich…Feminismus?

Im Zuge der gestrigen Veröffentlichung des Buches von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder („Danke, emanzipiert sind wir selber“) wird in vielen Medien wieder einmal über „den Feminismus“ diskutiert.  Nicht zuletzt, da Schröders Buch, welches ich nicht gelesen habe (und wohl auch nicht lesen werde, zu negativ sind die Rezensionen), anscheinend eine Art Abrechnung mit dem Feminismus darstellt. Die von Antje Schrupp hier zusammengestellten Zitate aus dem Buch verursachen wirklich nur Kopfschütteln und einen „ist-es-nicht-wert“-Reflex bei mir.

Die Rezensionen des Buches waren überwiegend kritisch, z.B. SZ, taz oder  Freitag.  Die Kommentarspalten dieser und ähnlicher Seiten werden bald wieder überlaufen von LeserInnenkommentaren, die, wie so oft bei frauenpolitischen Themen, zuletzt beim Thema Betreuungsgeld, wieder jede Menge Negatives ausbreiten über „den Feminismus“ und „die Feministinnen“, die sich angeblich immer als Opfer sähen und am liebsten alle Männer unterdrücken wollen, und überhaupt Schuld sind am baldigen Untergang des Abendlandes.

Ich vermute allerdings, dass die allermeisten jener kommentierenden Frauen und Männer ihr Konzept des „Feminismus“ nie hinterfragt haben und mit Vorurteilen arbeiten, die in der Realität so nicht haltbar sind. Argumentiert wird irgendwann immer mit Alice Schwarzer, die vermeintlich alle Männer unterdrücken wolle (was sie im Übrigen niemals gefordert hat, auch wenn das immer wieder behauptet wird).

Aber was ist denn eigentlich Feminismus?

Feminismus ist der „Glauben an die soziale, ökonomische und politische Gleichheit der Geschlechter“ (Mädchenmannschaft, zitiert nach Encyclopedia Britannica).

FeministInnen wollen niemanden unterdrücken oder unterdrückerische Verhältnisse umkehren und sehen sich auch nicht als Opfer (von Männern oder „den Verhältnissen“). Sie sind nicht lustfeindlich und wollen keine Frau und keinem Mann einen Lebensentwurf vorschreiben oder verbieten  – wohl aber sind sie der Meinung, dass die geforderte Chancengleichheit in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens noch nicht erreicht ist und sich daher alle gleichermaßen dafür einsetzen sollten.

Mich ärgert es immer wieder aufs Neue, dass sich viele Eiferer nie die Mühe machen zu hinterfragen, was „der Feminismus“ eigentlich ist. Und so kommt es dann zu Behauptungen, wie sie Frau Schröder aufstellt, nämlich, dass Feministinnen sich in ausschließlich als Opfer sähen, Männer unterdrücken oder andere Menschen umerziehen wollten.

Ist das so? Nein, so ist es eben nicht. Jede Frau und jeder Mann soll so leben können wie sie oder er es möchte. Sehr viele Menschen haben aber auch im Jahr 2012 noch nicht die Möglichkeit dazu. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist so ein Thema, das aktuell ist und aktuell bleiben wird und bei dem es auch nach Einführung des Elterngeldes, eine Vielzahl an Konflikten und Problemen gibt.

Indem die Ministerin, wie die Rezensentinnen schreiben und auch sie selbst im Interview mit Dunya Hayali im ZDF anmerkt, allen Menschen selbst überlassen will wie sie leben wollen, schiebt sie auch jede Menge Verantwortung von sich (Link über Kommentatorin duradia bei Antje Schrupp).

Natürlich will ich mein Leben so gestalten, wie ich möchte ohne Vorschriften seitens der Politik. Gleichzeitig erwarte ich aber auch, dass die Politik und insbesondere die zuständige Ministerin, bestehende Probleme und Ungleichheiten als solche anerkennt und nach Lösungen jenseits von Phrasen sucht. Dabei einer nicht unwesentlichen (Ziel)Gruppe (den FeministInnen) in populistischer Manier zuzurufen „wir brauchen Euch nicht“, halte ich aber überhaupt nicht für zielführend.

Konfliktmineralien, Blut am Handy und die Suche nach einer Lösung

Gestern nacht lief auf arte die Dokumentation Blood in the Mobile des dänischen Filmemachers Frank Poulsen. Sieben Tage lang kann man unter dem Link den Film mit deutscher Tonrspur noch abrufen (der hier eingebettete Trailer ist auf Englisch). Hier gehts zur Website zum Film.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=wQhlLuBwOtE&w=560&h=315]

Konfliktmineralien und Bluttelefone

Poulsen beschäftigt sich in seinem Film mit der Frage, woher eigentlich die Bestandteile seiner Nokia-Handys und unser aller Handys kommen. Insbesondere interessiert er sich für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den bewaffneten Konflikten im Osten der Demokratischen Republik Kongo und den dort abgebauten sogenannten Konfliktmineralien wie Kasserit oder Coltan. Diese werden in allen mobilen Geräten verbaut und kommen oft aus Minen im Ost-Kongo, somit finanzieren also alle Verbraucherinnen den dortigen Bürgerkrieg mit.

Ganz allgemein drückt der Film das Unbehagen aus, dass wir Verbraucherinnen zunehmend in vielen Belangen haben. Woher kommen eigentlich die Rohstoffe der Produkte, die wir täglich kaufen? Unter welchen Bedingungen werden sie hergestellt? Und wer schöpft eigentlich die Profite ab?

Spurensuche im Kongo und in Finnland

Auf seiner Spurensuche zeigt der Filmemacher, unter welch gefährlichen Bedingungen Menschen, darunter viele Kinder, im Ost-Kongo Mineralien abbauen, ohne Sicherheitsstandards und mit minimalem Gewinn. Diesen machen die verschiedenen Milizen und das Militär, welche die Minen kontrollieren und hohe Steuern erheben.

Anschließend versucht Poulsen, mit Verantwortlichen von Nokia in Finnland zu sprechen, wird jedoch mehrfach abgewiesen und vertröstet, bis er schließlich mit zwei Mitarbeiterinnen sprechen kann, die betonen, dass Nokia an einer Lösung arbeite, die jedoch ihre Zeit brauche. Und außerdem seien nicht nur die Industrie sondern auch die VerbraucherInnen und die Politik am Zuge.

Ursachen und Lösungen…?

Der Film beschäftigt sich weniger mit der Komplexität der Konflikte im Kongo und erweckt so das Bild, dass die Konfliktmineralien Ursache und Auslöser der komplexen Konfliktlage dort sind – was so nicht stimmt. Unbestritten sind die Mineralien wichtige Einnahmequellen für die verschiedenen Milizen, allerdings sind auch die Nachbarländer Uganda und Ruanda wichtige Akteure, was gar nicht erwähnt wird, jedoch seit den 1990er Jahren den Konflikt wesentlich mit befeuert hat.

Auch sind die Konfliktmineralien nicht die Ursache, sondern willkommene Finanzquelle für eine seit den 1990ern andauernde komplexe Konfliktlage (mehr dazu siehe unten).

Eine ganz simple Erklärung der Lage vor Ort gibt einer der interviewten Soldaten: in Friedenszeiten kosten Soldaten/Milizionäre Geld, sie müssen ernährt und gekleidet werden. Im Krieg töten sie ihre Feinde und nehmen sich, was sie brauchen. In der Region zirkulieren unglaublich viele Waffen und es gibt so gut wie keine staatliche Infrastruktur, das ist der Kontext in dem sich diverse bewaffnete Gruppen bekriegen; befeuert von den Nachbarländern.

Was aber ist nun eine mögliche Lösung bezüglich der Konfliktmineralien in unseren Handys?

Poulsen schlägt vor, dass alle Hersteller von Mobilgeräten ihre Zuliefererketten genauestens transparent machen und auf ihren Websites offenlegen. Als Konsumentin kann ich dann sehen, woher die Einzelteile eines Gerätes kommen und mich für oder gegen einen Kauf entscheiden.

Embargo gegen Konfliktmineralien aus dem Kongo – ist das die Lösung?

Das klingt vernünftig, aber ist es eine brauchbare Lösung? Die USA haben 2010 ein Gesetz erlassen (Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Act), dessen Sektion 1504 von Unternehmen verlangt, gegenüber einer Kommission und auf Ihren Websites offenzulegen, ob und woher sie Konfliktmineralien beziehen. Dies hat inzwischen zu einem de facto-Boykott von Konfliktmineralien aus der DRC geführt, wie Laura Seay, US-Politikwissenschaftlerin, die zum Thema forscht, darlegt (hier ein einführender Blogpost und ein ausführliches Working Paper der Autorin).

Seay beschreibt, dass dieser Boykott jedoch keineswegs zu einer Entspannung der Lage im Kongo beigetragen hat, vielmehr haben bis zu zwei Millionen MinenarbeiterInnen ihre Existenzgrundlage verloren. Der Autorin ist dabei durchaus bewusst, dass die Arbeitsbedingungen in den Minen erbärmlich waren, allerdings gibt es in den Minengebieten außer dem Bergbau keinerlei sonstige Einkommensmöglichkeiten für die Menschen.

Dies hat negative Auswirkungen auf Millionen von Familien, denen nun das Geld für Schulbesuch der Kinder oder Gesundheitskosten fehlt. Auch leidet die gesamte lokale Wirtschaft durch die fehlende Kaufkraft der Menschen.

Wie im Film so ist auch das erwähnte US-Gesetz von einem falschen Verständnis der Konfliktlage im Ost-Kongo beeinflusst. Die Konfliktmineralien sind nicht Ursache, sondern vielmehr Begleiterscheinung der sehr komplexen Konfliktlage. Seit dem Sturz des Diktators Mobutu 1997 bekämpfen sich im Osten des Kongo verschiedene Milizen. Wie Seay beschreibt, kämpfen manche davon schlicht um des Kämpfens willen, andere wiederum verfolgen ethnopolitische Ziele. Die Armee bekämpft Zivilisten, um ausbleibende Soldzahlungen „auszugleichen“, die Kämpfer der FDLR sind nach dem Genozid aus Ruanda geflohen – und in diese Gemengelage spielt nun die Existenz von Mineralien, mit denen Geld verdient werden kann, mit hinein.

Allerdings, so Seay, hat der de facto-Boykott der Mineralien bisher nicht zu einer Befriedung der Region geführt, eben weil die Mineralien nicht die Ursache der gewalttätigen Auseinandersetzungen sind. Daher bedarf die Konfliktlage auch einer politischen und keiner rein ökonomischen Lösung.

Ganz wichtig wäre es z.B., die Sicherheitslage in der Region dauerhaft zu stabilisieren, damit der Abbau von Mineralien unter der Regie von privatwirtschaftlichen Unternehmen und nicht mehr durch wechselnde Milizen und Warlords kontrolliert werden könnte. Dafür wiederum sind v.a. die Regierungen der DRC sowie der Nachbarländer verantworlich, die ihrerseits bisher gut an den Konfliktmineralien verdient haben.

Es ist und bleibt kompliziert…

… lautet mein Fazit; hier haben wir wieder die „Gefahr der einzelnen Geschichte„.  Poulsens Film ist ein guter Ausgangspunkt, und auch interessant weil er entlarvt, wie hilflos ein großes Unternehmen wie Nokia auf die kritischen Nachfragen eines Konsumenten reagiert. Immer noch.

Andererseits zeigt er auch, dass es schwierig ist, einfache Lösungen für komplexe Probleme vorzuschlagen. Viele Menschen möchten keine Kriege mitfinanzieren, ausbeuterische Produktionsbedingungen unterstützen oder Umweltzerstörung mitverursachen. Wir tun es aber dennoch; nicht immer haben wir die Wahl, nicht immer die Zeit, uns zu informieren, aber manchmal fehlt schlicht und einfach die Transparenz.

Filme wie „Blood on the Mobile“ sind aber dennoch wichtig, um wachzurütteln, Fragen zu stellen und uns Konsumierenden immer einmal wieder den Spiegel vorzuhalten; ich bin nämlich der Meinung, dass „der Konsument“ durchaus eine Menge Macht hat, vielen ist es aber entweder nicht bewußt oder schlicht egal.

Kony 2012, Teil 2

Vor ziemlich genau einem Monat beherrschte Kony2012 die Medien (hier meine Beiträge dazu) – nach einer riesigen Social Media-Welle griffen auch die meisten TV-Sender und Zeitungen das Thema der Kampagne der US-NGO Invisible Children auf, welche erreichen möchte, dass Rebellenführer Joseph Kony bis Ende dieses Jahres gefangen genommen wird.

Kony ist Anführer der LRA (Lord’s Resistance Army), die bis vor etwa sechs Jahren im Norden Ugandas gewütet hat, wo inzwischen Frieden herrscht. Die LRA, derzeit laut Film rund 250 Kämpfer umfassend, wird im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo (DRC) vermutet, wo sie weiterhin Überfälle begeht und Menschen, v.a. Kinder, entführt. Auch Gemeinden in den Nachbarländern der DRC Südsudan und Zentralafrikanische Republik sind nicht sicher vor Überfällen der LRA.

Nun hat Invisible Children das Folgevideo Kony 2012 Part II: Beyond famous veröffentlicht, das aber bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit erregt, wie Teil eins. Nach nun drei Tagen seit Veröffentlichung hat das Video auf Youtoube erst gut eine Million Klicks, während Kony 2012 mit über 100 Millionen Klicks als bisher weltweite erfolgreichstes virales Video gilt.

Was ist drin?

Der Film wirkt wie eine Antwort auf die vielen Kritiken, die Teil 1 erfahren hat; vor allem ist er weit weniger emotional. Auch werden einige Fakten geradegerückt, so wird dargestellt, dass die LRA derzeit nicht in Norduganda, aktiv ist und dass sie geschätzt nur rund 250 Mitglieder umfasst. Zudem kommen nun viele Menschen aus den betroffenen Ländern zu Wort und auch einige ugandische Mitarbeiter von IC erklären die Arbeit vor Ort.

Der Film gibt einen kurzen Einblick in die programmatische Arbeit vor Ort, u.a. wird beschrieben, dass IC ein Funknetzwerk aufbaut, das als Frühwarnsystem vor Angriffen der LRA dienen soll. Wie bereits in Teil 1, wird außerdem dazu aufgerufen, sich an der Kampagne zu beteiligen. Jede/r soll seinen/ihren Parlamentsvertreter zu bitten, sich für eine Gefangennahme von Kony einzusetzen und am 20.4. soll weltweit mit Plakat- und sonstigen Aktionen auf die Kampagne aufmerksam gemacht werden. Das Action Kit von IC ist ausverkauft, der Webshop bietet jedoch noch diverse andere Merchandising Kampagnen-Artikel an.

Was sagen die ExpertInnen?

Anders als bei Teil 1 sind viele ExpertInnen, die sich kritisch über Twitter und Blogs, teils auch andere Medie geäußert hatten, relativ zurückhaltend, vermutlich, da vieles, was zu Teil 1 schon gesagt wurde, auch jetzt noch zutrifft. Ich finde z.B., dass auch wenn nun kurze Einblicke in die Programmarbeit gegeben werden, das bei weitem nicht ausreicht. Ich wüsste gerne mehr über die konkrete Arbeit vor Ort, wie diese geplant und durchgeführt wird, was die Maßstäbe der Erfolgskontrolle sind, usw. Auf der Website der Organisation gibt es dazu jeweils schöne kurze Filmchen, aber das ist mir zu viel PR und zu wenig Inhalt.

„Its complex“  – aber was genau?

Eine umfassende und aktuelle Zusammenstellung kritischer Betrachtungsweisen gibt es beim Guardian. Hier wird u.a. Craig Valters zitiert, der über die LRA forscht und der kritisiert, dass die von den Kritikern monierte extrem vereinfachte Darstellung des gesellschaftlichen Kontextes der LRA-Problematik von IC nun mit „it is complex“ beantwortet wird. Aber nicht mehr. Genau hier erwartet man eigentlich eine genauere Erklärung, was denn nun genau so komplex ist – Analyse und Verständnis dessen sind Grundlage jeder erfolgreichen Intervention in der humanitären Hilfe/Entwicklungszusammenarbeit.

Das Problem mit der militärischen Intervention

Valters kritisiert ebenfalls, dass eine militärische Intervention als Lösung propagiert wird; auch das war eine der Hauptkritiken vieler an Teil 1. Immer wieder wird auch darauf hingewiesen, dass die LRA kein isoliertes Phänomen ist, sondern im Zusammenhang mit den Entwicklungen in Uganda und der gesamten Region gesehen werden muss, zum Beispiel in einem zwei Jahre alten Artikel von Andrea Böhm in der ZEIT. Hier wird deutlich, dass die LRA in den verschiedenen Jahren ihres Bestehens von unterschiedlichen Regierungen gestützt wurde (während des Bürgerkrieges im Sudan bis 2005 z.B. aus Khartoum, da die ugandische Regierung die südsudanesische SPLA unterstützte).

Bekannt ist auch weithin, dass die ugandische Armee nicht einfach unfähig war, Kony und die LRA zu fangen, sondern dass hier massive Eigeninteresse und gigantische Korruption eine große Rolle spielten. Das Militär profitierte von erhöhtem Budget und hatte daher kein allzu großes Interesse daran, die LRA rasch auszuschalten. Schätzungsweise gab es z.B. 20.000 „Schattensoldaten“, die nur auf dem Papier existierten, und deren gezahlter Sold in den Taschen ranghoher Militärs verschwand (siehe z.B. einen Beitrag von Michael Wilkerson bei Foreign Policy).

Wer sich für eine sehr detaillierte Darstellung der Ereignisse in Uganda seit Beginn der 1980er interessiert, der/dem sei die fünfteilige Blog-Serie von Charles Onyango-Obbo, einem ugandischen Journalisten, der seit dieser über ugandische Politik berichtet, empfohlen. Sein Standpunkt zu Kony 2012 ist übrigens weniger kritisch als der vieler anderer afrikanischer aber auch westlicher KritikerInnen.

Die evangelikal-fundamentalistischen Verbindungen von IC

Viele Kritiker von IC monieren darüber hinaus, dass die Organisation anscheinend eine christlich-fundamentalistische Agenda hat. Der Guardian verlinkt auf einen Beitrag des Journalisten Bruce Wilson, der Verbindungen von IC zu dem weltweit agierenden evangelikalen Netzwerk „The Fellowship“ nachweist. „The Fellowship“ hat in Uganda u.a. massiv Einfluss auf eine kürzlich verabschiedetes Gesetz zur Kriminalisierung von Homosexualität Einfluss genommen. In seinem Artikel beschreibt Wilson die vielfältigen Verflechtungen zwischen dem evangelikalen Netzwerk, (amerikanischen und ugandischen) Politikern, Unternehmen und eben IC. Das macht die Organisation in meinen Augen nicht eben vertrauenswürdiger.

Teil 2 ist also weniger emotional (daher wohl auch weit weniger erfolgreich), in Augen von KritikerInnen immer noch nicht ausreichend, und beinhaltet wenig Neues oder Überraschendes.

Bleibt abzuwarten, wie viele Menschen sich am Aufruf von IC, am 20.4. (ich wüsste übrigens gerne, ob das Datum zufällig oder auch aus symbolischen Gründen gewählt wurde) Aktionen zu starten und überall zu plakatieren, beteiligen werden.

Die Gefahr der „einzelnen Geschichte“

Chimamanda Ngozi Adichie (Quelle: http://www.ted.com/talks/lang/en/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story.html)

Im Rahmen eines Seminars am vergangenen Wochenende habe ich die Videoaufzeichnung des Vortrages der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie zu „The danger of a single story“ gesehen, den diese bei der TED Global-Konferenz 2009 gehalten hat. Großartig, sowohl Art als auch Inhalt des Vortrages.

Im Kern geht es Adichie darum, Bewußtsein dafür zu schaffen, dass eine einzelne Geschichte, ein einziges Detail, der Kern für Vorurteile und Stereotype ist. Kennt man nur kleine Ausschnitte einer komplexen Geschichte, bleibt einem vieles verborgen, was die eigene Sicht auf die Dinge einschränkt.

Sie benutzt dazu einige anschauliche Beispiele:

  • Als Kind in Nigeria las sie ausschließlich englische Kinderbücher und konnte sich daher lange Zeit nicht vorstellen, dass literarische Charaktere auch braune statt weißer Haut haben könnten. Erst als Jugendliche entdeckte sie in Büchern des nigerianischen Autors Chinua Achebe Menschen, die ihr ähnelten: ‘I realized that people who looked like me could live in books.
  • In ihrer Familie lebte ein Junge, der aus einer armen Familie stammte, als Haushaltshilfe. Adichie erzählt, wie ihre Mutter sie jedes Mal, wenn sie nicht aufessen wollte, ermahnte, dass die Familie des Jungen arm sei und kein Essen habe und Aufessen daher ein Zeichen des Respekts wäre. Adichie berichtet, wie erstaunt sie war, als sie eines Tages mit ihrer Familie die Familie des Jungen besuchte und ihnen die Mutter des Jungen einen gewebten Korb zeigte. Nach ihrer Vorstellung waren „arme“ Menschen, schlicht nicht in der Lage irgendetwas zu herzustellen.
  • Einer ihrer Professor in den USA kritisierte, dass ihre literarischen Charaktere „ihm zu ähnlich“ seien, Mittelklasseangehörige, die Autos fahren und  nicht Hunger leiden. Also nicht „authentisch afrikanisch“ seien.

Es gibt noch eine Reihe weiterer Beispiele und Adichie gibt zu, dass sie auch im Erwachsenenalter nicht sicher vor der Falle der „single story“ ist; sie beschreibt, wie erstaunt sie während einer Mexikoreise über die Normalität des Lebens der Menschen vor Ort war und dadurch feststellte, wie sehr ihr Bild von der negativen US-Medienberichterstattung geprägt war, die Mexiko vorwiegend mit Kriminalität und illegalen Migranten in Verbindung bringt.

Niemand ist gefeit von der „single story“; schließlich ist es auch gar nicht möglich, alle Details aller möglichen Begebenheiten aufzunehmen und zu verarbeiten. Selektion und Auswahl sind daher notwendige Mittel zur Verarbeitung von Informationen.

Gleichzeitig ist es aber immer aufs Neue wichtig, genau das zu hinterfragen. Glaube ich, was ich höre oder bin ich kritisch, weil ich möglicherweise nicht alle Seiten einer Geschichte beleuchtet habe?

Gerade unser Bild vom „Anderen“, vom „Fremden“ ist oft von solchen „single stories“ geprägt, bestes Beispiel im Kontext dieses Blogs ist das westliche Afrikabild. Ähnlich wie das Afrikabild von Adiches amerikanischer Mitbewohnerin an einer US-Universität ist auch das Afrikabild vieler Deutscher geprägt von der Medienberichterstattung, die sich auf Kriege, Katastrophen und Korruption konzentriert.

Aber auch hier gibt es tausende von Geschichten, die das Gesamtbild prägen und ich habe weiterhin vor, darüber zu schreiben.

Mali: Wie geht es weiter?

http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Karte_Mali.png

Vergangene Woche hatte ich über den Staatsstreich in Mali geschrieben. Zeit für einen kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Dinge:

  • Die Rebellen der MLNA haben vergangenes Wochenende die drei wichtigsten Städte im Norden Malis eingenommen, Kidal, Gao und Timbuktu. Ein Grund des Staatsstreichs malischer Soldaten war ihr Protest gegen mangelhafte Ausrüstung im Kampf gegen die Rebellen. Folge des Staatsstreichs ist nun, dass der Norden des Landes nun faktisch nicht mehr unter Kontrolle der Regierungsarmee steht und manche BeobachterInnen eine Teilung des Landes für nicht mehr ausgeschlossen halten.
  • In den eroberten Städten leben die Menschen in Angst und unter schwierigen Bedingungen, die Versorgungslage ist angespannt und es gibt Berichte über Plünderungen. Die „Rebellen“ sind v.a. zwei Gruppen:  neben der Tuareg-Bewegung MNLA, die für die Unabhängigkeit eines Tuaregstaates kämpft, gibt es die islamistische Bewegung Anzar Edine, die Verbindungen zu al-Quaida haben soll und denen es weniger um die Unabhängigkeit sondern um eine Islamisierung nebst Einführung der Scharia des gesamten Landes wollen. Über 200.000 Menschen sind auf der Flucht vor den vorrückenden Rebellen.
  • Unterdessen hat die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS harte Sanktionen gegen Mali erlassen, nachdem eine Frist an die Rebellen, die Macht an eine zivile Regierung zu übergeben, verstrichen war.  Aus Bamako wird von Hamsterkäufen und Menschenschlangen vor Geldautomaten berichtet.
  • Der Anführer der Putschisten, Captain Sanogo, hat alle politischen Parteien Malis für den morgigen 5. April zu Gesprächen über eine Übergabe der Macht eingeladen, die Vertreter der Parteien haben dies jedoch abgelehnt mit der Begründung, dies garanteiere keine Rückkehr zur verfassungskonformen Ordnung.
  • Die Bundesregierung hat wie EU, USA und weitere Geber ihre Entwicklungszusammenarbeit bis auf weiteres eingestellt. Büros und Ausrüstung von im Norden operierenden Hilfsorganisationen wurden z.T. geplündert und viele haben ihre Nothilfeprogramme zunächst eingestellt, auch aufgrund der teils chaotischen Verhältnisse und unsicheren Versorgungslage.

Es ist also vieles unklar und in der Schwebe, allerdings scheint die Krise wesentlich ernster zu sein als zunächst befürchtet, auch von westlichen Regierungen.

Ein ernsthaftes Anzeichen dafür ist die Evakuierung der Freiwilligen des US-Peace Corps, die, wie der Ethnologe Bruce Whitehouse aus Bamako schreibt noch nie zuvor in 41 Jahren Präsenz vor Ort evakuiert wurden, noch nicht einmal während des Militärputsches von 1991.

Frankreich und die USA haben ihren in Mali lebenden Staatsbürgern derweil die Ausreise empfohlen, noch wird aber nicht evakuiert. Es wird, so Whitehouse, jedoch erwartet, dass sich die Lage vor Ort angesichts des Embargos  sehr schnell weiter verschärfen wird, was die Militärjunta weiter in Bedrängnis bringen dürfte.

UPDATE 6.4.

Die BBC meldet heute morgen, dass die MNLA die Unabhängigkeit des Nordens („Azawad“) erklärt hat und bezieht sich dabei auf eine Meldung auf der Website der Rebellen. Die Situation ist weiterhin angespannt, viele Menschen fliehen aus den eroberten Gebieten und die Versorgungslage verschlechtert sich stündlich.

Auf der verlinkten Seite der BBC gibt es einige Kurzinformationen über die Tuareg sowie eine Karte der Tuareg-Gebiete in Mali und den Nachbarländern Burkina Faso, Niger, Algerien und Libyen.

Wahl im Senegal, Staatsstreich in Mali und Hunger – vergangene Woche im frankophonen Afrika

http://www.solarnavigator.net/geography/west_africa.htm

Ich neige, was meine Auswahl an Themen zu Afrika betrifft, dazu, mich eher auf die anglophonen Länder zu konzentrieren, was v.a. damit zu tun hat, dass mein vorrangiges Interesse dem östlichen und südlichen Afrika gilt, wo tendenziell eher Englisch gesprochen wird; außerdem kenne ich diverse Länder durch Reisen oder Arbeitsaufenthalte.

Mit dem frankophonen Afrika, West- und Zentralafrika, habe ich mich bisher weniger beschäftigt. Allerdings hatte ich gerade beruflich viel mit der Region zu tun, daher verfolge ich das dortige Zeitgeschehen etwas mehr als sonst. Außerdem haben es gleich zwei Ereignisse (neben den leider alljährlich wiederkehrenden Meldungen über eine sich anbahnende Hungerkrise in den Sahelländern) in die deutschen Medien geschafft: Die Wahlen im Senegal und der Staatsstreich in Mali.

Wahl im Senegal

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Senegal am 26.2. dieses Jahres war es zu schweren Unruhen in der Hauptstadt Dakar gekommen. Vor allem jüngere Senegalesen protestierten dagegen, dass Amtsinhaber Abdoulaye Wade zum dritten Mal zu einer Wahl antrat, obwohl die Verfassung des Landes nur zwei Amtszeiten erlaubt. Wade argumentierte, dass diese Regelung erst nach seinem Amtsantritt eingeführt worden sei und somit nicht für ihn gelte.

Der Präsident erreichte nicht die nötigen 50% der Stimmen und so gab es am gestrigen Sonntag eine Stichwahl zwischen Wade und Macky Sall, einem früheren Mitarbeiter Wades. Sall hat die Stichwahl gewonnen (bisher liegen noch keine amtlichen Ergebnisse vor) und Amtsinhaber Wade hat ihm bereits gestern abend dazu gratuliert.

Jetzt muss sich zeigen, wie der Übergang von der alten zur neuen Regierung verlaufen wird, aber bislang stimmt es optimistisch, dass der alte Präsident die Rolle als Wahlverlierer annimmt und seinen Nachfolger beglückwünscht.

Dieser hat auch viele Aufgaben zu bewältigen. Viele derjenigen, die gegen eine dritte Amtszeit Wades protestiert hatten, sind junge, gut ausgebildete Menschen, die keine Arbeit finden. Ihnen hatte Wade vor seiner ersten Amtszeit viel versprochen, jedoch wenig davon eingelöst. Der neue Präsident hat also eine große Aufgabe vor sich und viele Hoffnungen ruhen auf ihm.

Staatsstreich in Mali

Ganz anders die Situation in Mali. Am 22. März haben Soldaten die Regierung unter Präsident Amani Toumani Touré aus dem Amt geputscht. Mali galt seit langem als eine „Musterdemokratie“, nachdem Touré selbst 1991 einen Putsch initiiert, dann aber zunächst nicht selbst die Macht übernommen hatte.

Ende April soll die nächste Präsidentschaftswahl stattfinden, zu der der bisherige Amstinhaber (anders als Wade im Senegal, siehe oben), nicht mehr antreten wollte.

Warum dann jetzt der Putsch?

Seit Monaten kämpft im Norden Malis die separatistische Touareg-Bewegung MNLA zusammen mit von Al Quaida unterstützten Kämpfern gegen die malische Regierung. Die Rebellen sind schon länger im Norden aktiv, allerdings verschärfte sich  die Situation während des Bürgerkriegs in Libyen, in dessen Folge viele Waffen in Umlauf gelangten und viele rückkehrende Kämpfer sich den Rebellen in Mali anschlossen. Schätzungsweise 200.000  Menschen sind derzeit auf der Flucht vor der Rebellion im Norden Malis.

Die Soldaten, die nun gegen den Präsidenten gemeutert haben, drücken ihre Wut über den Umgang des Präsidenten mit den Rebellen im Norden aus. Die Soldaten wurden ohne ausreichend Ausrüstung in den Kampf geschickt und die Armee musste sich während der vergangenen Wochen immer weiter zurückziehen.

Derzeit ist allerdings noch nicht bekannt, was genau die Absichten der Putschisten unter Amadou Haya Sanogo sind; in einem Interview mit AP sagte er lediglich, er wolle Friedensgespräche mit den Rebellen im Norden führen. Sanogo ist übrigens vom US Militär ausgebildet worden; welche Rolle die USA im Verlauf des Putsches und danach spielen oder spielen könnten, darüber ist bislang kaum geschrieben worden.

Warum der Putsch nur wenige Wochen vor der geplanten Wahl stattfindet – auch das ist weiterhin unklar. Viele BeobachterInnen befürchten derweil, dass sich die ohnehin angespannte Sicherheitslage im Norden Malis weiter verschärfen könnte bis hin zu einer Abspaltung des Gebietes.

Hungerkrise im Sahel

Die Sorgen über die politische Instabilität treffen auf die steigenden Sorgen der Menschen bezüglich einer sich schon seit Monaten anbahnenden Hungerkrise in den Sahelländern. Neben Mali sind vor allem Niger, Tschad, Burkina Faso, Mauretanien sowie der Senegal betroffen.

Die Krise ist durch das unglückliche  Zusammentreffen vieler Faktoren bedingt, neben Konflikten wie in Mali tragen Dürre, hohe Lebensmittelpreise und Insektenplagen dazu bei. Da die betroffenen Ländern in den vergangenen Jahren immer wieder ähliche Krisen erfuhren, sind die Reserven der Menschen aufgebraucht und jede neue Dürre hat erneut schwerwiegende Auswirkungen.

Die großen Hilfsorganisationen rufen derzeit zu Spenden für die Sahelländer auf; erfahrungsgemäß setzen die großen Spendenbereitschaft jedoch immer erst dann ein, wenn Bilder von verhungernden Kindern in den westlichen Medien auftauchen. Dann ist es jedoch in vielen Fällen zu spät, um eine Katastrophe zu verhindern.

Diese notwedigen Mittel (Spendengelder) müssten jedoch weit frühzeitiger bereitgestellt werden, denn auch den Hilfsorganisationen ist klar, dass reine Nahrungsmittelhilfe nur Not mildern kann, nicht jedoch dazu beiträgt, zukünftige Hungerkrisen zu verhindern.

Kony 2012, weitere Links

Der Aufruhr, den die #Kony2012 Kampagne verursacht hat, ebbt nur sehr langsam ab, und die Beiträge zum Thema werden zahlreicher und zahlreicher.

Ich bin während der vergangenen Tage lediglich dazu gekommen, einige Beiträge querzulesen, möchte aber, da mein letzter Eintrag so großes Interesse geweckt hat, einige Links zu interessanten Beiträgen teilen.

Alles Kritische ist gesagt und meine Meinung ist nach wie vor eben so kritisch wie zuvor. Interessant ist es aber doch, dass ein Afrika-Thema eine solch gewaltige Resonanz hervorruft. Noch viel interessanter finde ich, dass sich sehr viele Stimmen aus Uganda und anderen afrikanischen Ländern zu Wort melden und zunehmend bedeutenden Einfluss auf die Diskurse der „Netzgemeinde“ (was auch immer das sein soll) nehmen. Das ist für mich, neben der allgemein kritischen Auseinandersetzung mit einem afrikabezogenen Thema, ein wunderbarer Nebeneffekt der Kampagne.

Die folgenden Links sind nur ein winziger Ausschnitt und ich erhebe keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität irgendeiner Art – twitter oder eine Suchmaschine der interessierten LeserIn Wahl  führen zu vielen weiteren interessanten Beiträgen.

Deutsche Beiträge sind nach wie vor rar, ich bin aber über Die Freiheitsliebe auf ein interessantes Interview mit dem Regisseur Oliver Stoltz gestoßen, dessen Film „Lost Children“ von 2005 das Schicksal der von der LRA entführten Kinder in Norduganda darstellt. Stoltz attestiert der Kampagne von Invisible Children grobe Naivität, da sie sich unkritisch vor den Karren der ugandischen Regierung spannen lassen.

Afrikanische Stimmen

Ein lesenswerter Kommentar von Mahmood Mamdani, Professor u.a. an der Makerere-Universität in Kampala, schreibt, warum es sich bei dem LRA-Konflikt um ein im Kern ugandisches Problem handelt, das einer ugandischen Lösung bedarf.

Ein genauso lesenswerter Beitrag des äthiopischstämmigen Autors Dinaw Mengistu, in dem er beschreibt, warum er die Kampagne  sehr kritisch sieht: Sie präsentiert kein mit Fakten unterfüttertes Bild der Lage und suggeriert, dass die Lösung ganz simpel sei und einzig im Bekanntmachen Konys innerhalb der amerikanischen Öffentlichkeit bestehe: „Change has never come with a click, or a tweet; lives are not saved by bracelets.  We all want solutions, but why should we think or expect an easy one exists for a twenty-year-old conflict in Uganda when we have none for the wars we’re engaged in now.“

Charles Onyango-Obbo, ugandischer Journalist, hat heute den ersten von fünf Posts veröffentlicht, in denen er darüber berichtet, was er während der vergangenen beiden Jahrzehnte im Zuge von Recherchen und Berichten über Kony und die LRA, ebenso wie über die ugandische Regierung, erlebt hat. Es bleibt spannend, die Beiträge 2-5 zu verfolgen.

Noch etwas aus den USA

Ein Beitrag von Elliot Ross bei „Africa is a country“ über den evangelikal-christlich-fundamentalistischen Hintergrund der NGO „Invisible Children“, der entlarvt, dass sich Gründer Jason Russell als Heilsbringer sieht und die Organisation Spenden aus der ultrakonservativen  Ecke der USA erhält.

Und schließlich ein Kurzüberblick über einge hilfreiche Quellen bei „Good Intentions are Not Enough“. Wer sich dafür interessiert, was „gute“ Entwicklungszusammenarbeit ausmacht, der sollte sich diesen Blog einmal näher ansehen – einige gute Beiträge sind direkt im Kony-Post verlinkt.

Geht es um USA oder Uganda? Ein paar Gedanken zu Kony2012

Seit Mitte dieser Woche macht im Internet die Kampagne Kony 2012 der US-NGO Invisible Children die Runde; #kony2012 und #stopkony sind Toptrends bei twitter, das halbstündige Video wurde über 50 Millionen Mal angeklickt und inzwischen haben auch alle größeren deutschen Medien darüber berichtet – wenn auch mit teils unangemessenen reißerischen Schlagzeilen.

Nachdem über meinen Twitterfeed seit zwei Tagen quasi minütlich neue kritische Links hereinkommen,  setzt sich allmählich auch die deutsche Blogosphäre mit der Kampagne und ihrem Inhalt auseinander. Wer nicht genug bekommen kann, hier eine sehr umfassende Linkliste zum Thema (auf Englisch).

Eigentlich wollte ich zum Thema weder twittern noch bloggen, da sehr viel Gutes bereits dazu gesagt wurde und die Kampagne schon mehr als genug Aufmerksamkeit bekommt, aber zu stark war dann doch mein Impuls, (auf deutsch)  Stellung zu nehmen.

Was ist „Kony 2012“?

Die Kampagne Kony 2012 will den ugandischen Kriegsverbrecher Joseph Kony weltweit bekannt machen und dadurch erreichen, dass sich die US-Regierung für seine Festnahme durch die ugandische Armee, auch mit Zuhilfenahme des US-Militärs einsetzt.

Dieses Ziel wollen die Initiatoren der US-NGO Invisible Children bis zum 31.12.2012 erreicht haben. Dazu haben die Initiatoren der Kampagne, darunter CO- Gründer der NGO Jason „Radical“ Russel, einen Film gedreht, der Konys Terror in Norduganda zeigt, wo seine im wesentlichen aus Kindersoldaten bestehende „Lords Resistance Army“ (LRA) Dörfer überfällt und weitere Kinder entführt. Das Publikum des Films wird aufgefordert, sich an Politiker zu wenden und die Kampagne durch Kauf des „Action Kits“ für 30 US$, bestehend aus T-Shirt, Armband und Poster, über die Website von Invisible Children zu unterstützen.

Warum wird die Kampagne kritisiert?

In kürzester Zeit hat sich das Video übers Netz verbreitet und der Erfolg ist, das geben selbst die schärfsten KritikerInnen zu, beachtlich und kann anderen NGOs als Lehrstück in Sachen viraler Kampagnen dienen.

Allerdings, und hier beginnt die Kritik, stellt sich die Frage, welchen Preis diese Kampagne wirklich hat. Dazu zunächst ein kleiner Faktencheck:

Aktualität: Joseph Kony und die LRA operieren seit etwa 5 Jahren nicht mehr in Norduganda; die Situation dort gilt inzwischen als Postkonfliktsituation, es gibt keinen bewaffneten Konflikt mehr. Die LRA hat sich mittlerweile in das unübersichtliche Grenzgebiet zwischen Südsudan, Zentralafrikanischer Republik und der Demokratischen Republik Kongo zurückgezogen. Auch besteht sie Schätzungen zufolge nurmehr aus wenigen hundert Kämpferinnen.

Dies soll in keinster Weise relativieren, dass die LRA nach wie vor besteht und schlimme Verwüstungen und Morde begeht, allerdings ist falsch, wie der Film suggeriert, dass Norduganda immer noch betroffen ist.

Aktuelle Informationen zur LRA gibt es derzeit nur wenige auf deutsch; hier ein Artikel von ZEIT online von 2011; eine gute englischsprachige Quelle ist der Guardian, der auch viele kritische Stimmen zur Kampagne bündelt.

Vereinfachung: Der Film erklärt die Situation auf einfachste Weise: Kony ist der „bad guy“, den man lediglich fangen muss, um „den Lauf der Geschichte“ zu ändern. Jason Russell erklärt im Film seinem kleinen Sohn, das Daddy den Bösen jagt, um Afrika zu helfen  – was zeigen soll, dass selbst Dreijährige das verstehen können.

So einfach ist es aber nie. Wie in allen Konflikten, so kann man auch im Konflikt in Norduganda nicht einfach von gut und böse sprechen. Der Konflikt hat eine sehr lange Geschichte, in deren Verlauf nicht nur die LRA sondern auch die ugandische Armee, deren Befehlshaber Präsident Museveni seit 1986 an der Macht ist, Kriegsverbrechen an der lokalen Bevölkerung begangen haben. Kony ist kein irrer Einzeltäter sondern ist Teil einer komplexen Situation, deren vielschichtige regionalen Konfliktlinien sich über Jahrzehnte gespannt haben. Die Festnahme einer einzelnen Person wird an der problematischen Situation wenig bis gar nichts ändern.

Zudem ist die Annahme zumindest zweifelhaft, eine Intervention von außen (zumal durch das US-Militär) könne dazu beitragen, einen Konflikt dauerhaft zu lösen. Viele KommentatorInnen weisen zu Recht darauf hin, dass eine lokale Lösung gefunden werden muss, die alle beteiligten Regierungen (Uganda, Südsudan, DRC, Zentralafrianische Republik) mit einbeziehen muss.

Darstellung der „AfrikanerInnen“: Dies ist der Punkt, der am meisten Diskussion ausgelöst hat, nicht zuletzt unter Bloggern afrikanischer Herkunft. Viele ugandische Journalisten, AktivistInnen aus anderen afrikanischen Ländern aber auch westliche BloggerInnen haben darauf hingewiesen, dass Kampagnen wie Kony2012 eine vollkommen unzeitgemäße und unverantworltliche Darstellung von „Afrika“ und „AfrikanerInnen“ verbreiten und damit dazu beitragen, dass sich hartnäckig ein Bild von Afrika als armem, Konflikt-geplagtem Kontinent hält, dessen Menschen sich nicht selbst helfen können und die nichts als als passive Opfer sind.

Dazu kommt eine bedenkliche Darstellung traumatisierter Kinder im Film, was niemals mit „auf etwas aufmerksam machen“ gerechtfertigt werden darf. Hier ist die Kampagne schlicht unethisch – niemals würden weiße, europäische Kinder im deutschen Fernsehen so gezeigt werden.

Besser keine Kampagne als eine schlechte?

Ist es aber nicht besser, schlechte Kampagnen durchzuführen, als gar keine? Immerhin kennt nun tatsächlich die ganze Welt Joseph Kony.

Die Antwort lautet schlicht: Nein! Kampagnen wie diese verbreiten ein viel zu einfaches WeltAfrikabild. Es gibt kein einfaches „good guy vs. bad guy“ und eine immergleiche Darstellung von „AfrikanerInnen“ als Opfer trägt nur dazu bei, bestehende Stereotype weiter zu verfestigen. Viele KritikerInnen der Kampagne betonen, dass dies ein weiterer Ausdruck westlichen Paternalismus und Neokolonialismus sei, ausgedrückt durch das westliche Helfersyndrom, das AfrikanerInnen vorgibt, wie sie ihre Entwicklung am besten zu gestalten zu haben.

Ich finde es schlicht unverantwortlich, komplexe Situationen wie jene in Uganda auf einfache Schwarzweißformeln herunterzubrechen, noch dazu, wenn man dabei bestehende Fakten ignoriert. Es reicht nicht, Aufmerksamkeit um jeden Preis erzeugen zu wollen, dies muss mit Verantwortung und Respekt denjenigen Menschen gegenüber geschehen, denen man vermeintlich helfen will.

StopKony ist keine gute advocacy, sondern badvocacy, da sie suggeriert, die Menschen in Norduganda bräuchten nur genügend Aufmerksamkeit aus dem Westen um die vermeintlichen Probleme zu lösen.

Abgesehen davon bleibt die Kampagne eine Antwort darauf schuldig, was mit dem eingenommenen Geld geschehen soll und was überhaupt der programmatische Ansatz ist, der dahinter steht. Auch die Website der NGO gibt darüber keine Auskunft, es scheint weder Strategie noch programmatische Konzepte zu geben. Sehr dünn für eine Organisation deren Gründer angibt, „das Konzept der humanitären Hilfe redefinieren“ zu wollen und die mit der aktuellen Kampagne vermutlich mehrere Millionen an Spenden einnehmen wird.

Das ist aber das mindeste, was man von einer seriösen Organisation erwarten sollte. Viele Probleme in der Entwicklungszusammenarbeit gehen auf unausgereifte Ansätze zurück; dazu gehört auch die Ansicht, dass Geld alleine es schon richten wird.

Viele Probleme in der Entwicklungszusammenarbeit könnten vermieden werden, wenn PlanerInnen lokale Kontexte besser verstehen und berücksichten würden.

Mehr Verständnis für die Probleme, aber auch für die Chancen und Möglichkeiten einer modernen Entwicklungszusammenarbeit wiederum könnte durch eine verantwortungsvolle Kampagnenarbeit geschaffen werden, von der wir jedoch weit entfernt sind. (Siehe dazu z.B. auch den aktuellen Film „White Charity“ über die Spendenwerbung deutscher Entwicklungsorganisationen.)

Kony 2012 ist daher inhaltlich gesehen keine gute, sondern eine schlechte und kontraproduktive Kampagne.