Alex Perry „In Afrika. Reise in die Zukunft“ (Im Original 2015 erschienen als „The Rift. A new Africa breaks free.“)
Es geht um die Freiheit. Freiheit von Kolonisation, von Bevormundung und Ausbeutung. Aber auch von Korruption und Betrug durch einheimische Eliten und Warlords. Alles in allem ein weit differenzierteres Bild des afrikanischen Kontinentes als wir in der täglichen Berichterstattung gezeigt bekommen.
Alex Perry war viele Jahre als Afrikakorrespondent für TIME, Newsweek und andere amerikanische und britische Medien tätig. Er beschreibt das aktuelle Afrika in seiner Vielfalt und ist bemüht, möglichst wenig zu verallgemeinern. Er lässt Menschen zu Wort kommen, die in der westlichen Berichterstattung über Afrika eher selten sprechen dürfen – wenn überhaupt wird über sie gesprochen. Dazu gehören somalische Warlords, kenianische Menschenrechtler oder nigerianische Kommunalpolitiker, malische Militärs oder der ruandische Präsident Paul Kagame.
Das Bild, das Perry zeichnet, ist weit differenzierter als das übliche Schwarz-weiß der westlichen Medien. Insbesondere setzt er sich kritisch mit der Rolle und der Verantwortung des Westens für viele Ereignisse in Afrika auseinander, etwa in seiner Analyse der entscheidenden Rolle, die die USA durch die CIA in der Entstehung von al-Shabaab in Somalia und der daraus folgenden ostafrikanischen Front im „Kampf gegen den Terror“ gespielt haben. Die alte Geschichte: Weltmacht baut terroristische Vereinigung auf, die sie anschließend mit militärischer Gewalt bekämpft, zivile Opfer und Geheimgefängnisse inklusive.
Einmischung von Außen bringt Destabilisierung, die zu noch mehr Einmischung von außen führt …
Seit Beginn der Kolonialzeit und bis zu ebenjenem andauernden „Kampf gegen den Terror“ maßen sich westliche Mächte an, sich nach Belieben in afrikanische Belange einzumischen. War es damals die künstliche Schaffung von Nationen und Ethnien, die sich bis heute durch Gewalt und Benachteiligung äußert (etwa in Ruanda), ist es heute die schamlose Ausbeutung von Rohstoffen durch westliche Konzerne (etwa Erdölförderung in Nigeria) oder die Durchführung militärischer Geheimaktionen und Folter in Somalia. Perrys Perspektive auf Afrika ist daher eine, die kritisch mit dem Westen ins Gericht geht – ohne aber selbst in schablonenhafte Darstellungen zu verfallen. Seine Darstellung des trans-saharischen Kokainhandels und die Verstrickung vieler westafrikanischer Regierungen wie sogenannter islamistischer Terroristen ist hier etwa sehr erhellend, ebenso seine Analyse der vollkommenen Bankrotts der nigerianischen Politik.
Es ist kompliziert – lautet ein Fazit, und genau deswegen lohnt die Lektüre dieses Buches. Perry zeigt viele Kriege und Krisen, doch gleichzeitig zeigt seine Darstellung, dass diese eben nicht auf eine angenommene afrikanische „Unfähigkeit“ zurückgehen, sondern die komplexe Ursachen im dichten Geflecht aus Kolonialzeit, wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Interessen diverser Mächte sowie fehlender Rechenschaftspflicht einheimischer Eliten und mangelhafter Infrastruktur vieler Länder liegen.
Afrika holt sich seine Freiheit zurück
Perrys Blick in die Zukunft, auf das Afrika des 21. Jahrhunderts ist ein positiver. Seine Beobachtungen in vielen Ländern auf dem Kontinent nähren den Optimismus, wobei Afrika dabei ist, seine Freiheit zurückzufordern. Er zeigt dies immer wieder anhand der Geschichten von Politiker, Unternehmerinnen, Kleinbäuerinnen oder auch Militärs, von deren Beobachtungen aus er den Bogen hin zu größeren politischen oder gesellschaftlichen Zusammenhängen schlägt. Die Kernaussage ist: Ja, es liegt noch vieles im Argen in Afrika (als täte es dies nicht auch anderswo in der Welt) – doch Lösungen und Potenziale sind genauso vor Ort vorhanden, wir müssen nur genauer hinschauen. Genau das versäumen westliche Medien leider.
Auslaufmodell Entwicklungsorganisation
Perry geht besonders hart mit westlichen Entwicklungsorgansationen ins Gericht, die, wie er schreibt, das im Westen verbreitete Bild des „armen Afrika“ immer noch skrupellos zur Spendenwerbung nutzen. Etwa, als Oxfam 2012 für Spenden im Zuge einer Dürre und Hungersnot für Somalia aufrief – dann aber quasi keine Hilfslieferungen im Land ankamen. Er zeigt stattdessen, dass immer mehr Menschen in Afrika selbst Lösungen für bestehende Probleme schaffen, etwa die äthiopische Ökonomin Eleni Gabre-Madhin, die die erste äthiopische Warenterminbörse ECX gegründet hat oder den kenianischen Tech-Unternehmer Denis Karema.
Ganz Afrika…
Mit über 500 Seiten ist das Buch umfangreich genug – dennoch fehlen natürlich eine Reihe von Facetten, um ein wirklich differenziertes Bild des zeitgenössischen Afrika zu zeichnen. Der Fokus liegt auf der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung, gesellschaftliche und kulturelle Themen kommen leider nicht vor – das war vermutlich aber auch nicht Perrys Fokus in seiner Arbeit als Korrespondent.
Alles in allem ist das Buch ein wichtiger Baustein zu einem neuen, modernen und differenzierten Verständnis des großen Kontinentes Afrika. (Ganz aktuell wird z.B. Finanzminister Schäuble mit den Worten zitiert, wonach Afrika „eines der größten geopolitischen Risiken für Wachstum und Stabilität der Weltwirtschaft“ darstelle.) Spätestens nach der Lektüre des Buches von Alex Perry sollte kein westlicher Politiker solche Sätze mehr sagen können, ohne hinzuzufügen, dass die andauernde westliche Einmischung eine wesentliche Ursache für ebenjene angenommenen Risiken darstellt.
Schade nur, dass durch die deutsche Übersetzung die Symbolik des Originaltitels verloren gegangen ist. Dieser lautet „The Rift“ und beschreibt das zeitgenössische Afrika mit der Metapher der Spaltung (geographisch der ostafrikanische Grabenbruch – Great Rift Valley).
Perry, Alex. In Afrika. Reise in die Zukunft.
S. Fischer
24.99
ISBN: 978-3-10-000193-1
Der S. Fischer Verlag hat mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gstellt