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Plötzlich umgab uns Stille (Rezension)

Englebert Munyambonwa hat den Genozid in Ruanda überlebt. Seine Geschichte, aufgeschrieben von Jean Hatzfeld als „Plötzlich umgab uns Stille. Das Leben des Englebert Munyambonwa“, ist die eindrucksvolle Schilderung eines Lebens, das, einst bequem und auskömmlich, durch den Völkermord unwiederbringlich aus der Bahn geworfen wurde.

Fast eine Million Menschen wurden 1994 in Ruanda ermordet, zumeist Angehörige der Minderheit der Tutsi. Seitdem hat sich viel getan: Das kleine Land hat mit das höchste Wirtschaftswachstum Afrikas und gilt als Musterbeispiel unter den Entwicklungsländern.

Der Genozid und seine Folgen sind dagegen kaum noch Thema in der Öffentlichkeit. Die ethnischen Bezeichnungen Tutsi und Hutu sind offiziell abgeschafft – es gibt nur noch Ruander. Doch wie geht es den Überlebenden, von denen viele nach wie vor Tür an Tür mit den Tätern leben?

Ein Überlebender ist Englebert, etwas über 60 Jahre alt. Er streift täglich durch die Straßen der Stadt Nyamata auf der Suche nach einem Gespräch und ein, zwei Bier. Hier begegnete er kurz nach dem Völkermord dem französischen Kriegsreporter Jean Hatzfeld, der seit 1994 über Ruanda berichtet und mehrere wegweisende Bücher über den Genozid geschrieben hat. Ihre Gespräche hat Hatzfeld zu einer mit knapp 100 Seiten kurzen aber umso eindrucksvolleren Erzählung verdichtet.

Von Kindheit an erlebt Englebert, ein Tutsi, immer wieder Massaker der Hutu gegen seine Bevölkerungsgruppe. Zum Studium an der staatlichen Universität wird er nicht zugelassen – „ethnische Quoten“, heißt es. Eine spätere Anstellung im Wirtschaftsministerium wird ihm unter Vorwand gekündigt.

Dann beginnt der Genozid. Während der 100 Tage des organisierten Mordens funktioniert Englebert nur noch, jegliche Emotionen sind abgeschaltet. Mit anderen Verfolgten versteckt er sich täglich aufs Neue vor den Interahamwe-Milizen. Immer nur zwischen acht und fünfzehn Uhr, Morden nach Stundenplan. Jeden Abend kochen die Verfolgten zusammen, schweigend. Niemand weiß, wer den kommenden Tag überleben wird.

Englebert entkommt den Mördern, anders als zwei seiner drei Geschwister, viele Nachbarn und Freunde. Er hat jedoch nur äußerlich überlebt, innerlich ist er leer, antriebslos, findet nicht mehr in sein altes Leben zurück: „Als Überlebender mag ich es nicht, wenn man mich daran erinnert, wer ich einmal war.“

Engleberts Schilderung hallt lange nach. Sie zeigt, wie tief die Traumata des Genozids bei vielen Ruandern trotz der staatlich verordneten Aufarbeitung noch sitzen, denn „die Anderen“, so nennt Englebert die Mörder, leben immer noch im unmittelbaren Umfeld ihrer Opfer. Mit ihnen hat er sich arrangiert. Er schweigt, wenn er sie sieht. Gespräche über den Genozid möchte er nicht mehr führen – was bringen sie schon, die Toten kommen nicht mehr zurück.

Engleberts Erzählung ist ein wichtiges Gegengewicht zur vorherrschenden Erfolgsgeschichte des Ruandas seit 1994, denn sie zeigt, dass die Traumata der Überlebenden auch im „neuen Ruanda“ keinesfalls überwunden sind.

Vieles ist bisher sowohl über Täter wie auch Opfer im zeitlichen Zusammenhang mit den Ereignissen von 1994 geschrieben worden. Noch nie aber hat sich ein Autor in dieser behutsamen und dadurch so eindringlichen Art auf einen einzelnen Lebenslauf konzentriert. Dies macht das Buch einzigartig in der bisher erschienenen Literatur über Ruanda.

 

Jean Hatzfeld; Plötzlich umgab uns Stille. Das Leben des Englebert Monyambonwa. Aus dem Französischen von Ahlrich Meyer. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2016. 112 Seiten, 9,90 Euro.

Anmerkung: Der Verlag hat mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

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