Auch an dieser Stelle ist des Öfteren Kritik daran zu lesen, dass die internationale (lies Westliche) Berichterstattung über Afrika und afrikanische Länder mit Vorliebe auf Krisen, Kriege und Katastrophen stürzt.
In einem Interview hat der ugandische Journalist Charles Onyango-Obbo nun kürzlich einige interessante Beschreibungen aktueller gesellschaftlichen Entwicklungen in Afrika geliefert, jenseits der üblichen Acht-Uhr-Nachrichtenmeldungen. (Onyango-Obbo ist Executive Editor bei der Nation Media Verlagsgruppe in Nairobi, politischer Kommentator, Blogger und als @cobbo3 bei Twitter unterwegs).
Für Leser_Innen, die nicht den gesamten englischen Text lesen möchten, habe ich im Folgenden einige Kernaussagen zusammengefasst.
Eine neue Definition von Bürgerschaft („citizenship“): Viele Bürger_Innen afrikanischer Ländern haben das Bedürfnis nach Frieden und bescheidenem Wohlstand. Auch wenn vielerorts Korruption und Wahlbetrug endemisch sind, scheinen sich viele Menschen damit zu arrangieren, da die in den letzten Jahren erzielten Fortschritte in Bezug auf Frieden und wirtschaftlicher Entwicklung als so positiv empfunden werden, dass sie anderes aufwiegen. Verglichen mit ihrem Leben vor 10 oder 20 Jahren spüren viele Menschen kleine aber merkliche Verbesserungen.
Was die Jugend bewegt: Die Länder Afrikas haben eine sehr junge Bevölkerung; vielerorts beträgt das Durchschnittsalter 18 (!) Jahre. (Zum Vergleich: Die Durchschnittsdeutsche ist 44 Jahre alt).
Obbo ist überrascht, dass laut Umfragen in mehreren Ländern die drohende Arbeitslosigkeit nicht zu den als am dringendsten wahrgenommenen Problemen der jungen Frauen und Männer gehört. Immerhin gilt dies als einer der Hauptauslöser des arabischen Frühlings. Nein, Ängste vor Überfällen durch Kriminelle oder einer Infektion mit Geschlechtskrankheiten wiegen derzeit weit stärker.
Wie überall sonst auf der Welt befinden sich junge Menschen in Afrika in einer Situation rapiden gesellschaftlichen Wandels, die das Bedürfnis nach mehr Freiheit befeuert, nach Emanzipation von Eltern, Familie und/oder Religion. Ein Zusammenkommen von mangelnden beruflichen Möglichkeiten und wachsenden Freiheiten schätzt Obbo hier als ein mögliches zukünftiges Konfliktpotenzial ein.
Durch moderne Technologien beförderte Potenziale: Selbst als extrem arm geltende Menschen können sich mittlerweile in fast jedem Land Afrikas ein Handy leisten. Laut Obbo ist weniger die Bezahlbarkeit von Telefonen sondern vielmehr der Zugang zu verlässlichen Netzverbindungen das drängendste Problem. Auch wenn immer noch viele Menschen keinen Zugang zu mobilen Technologien haben, ist der Fortschritt klar erkennbar.
Durch Social Media wie Blogs, Facebook oder Twitter sowie weitere Kanäle können Menschen Zensur durch Regierungsstellen umgehen und schaffen neue Räume für Berichterstattung abseits von staatlich kontrollierten Medien oder bestimmter Agenden wie jene von Hilfsorganisationen, Kirchen, politische Parteien, etc. Vor allem Gruppen, die in der öffentlichen Wahrnehmung lange unsichtbar waren, deren Existenz gar geleugnet wurde, wie Lesben oder Schwule, können sich nun besser organisieren und die neuen Medien für das Einfordern ihrer Rechte nutzen.
Während das westliche Mainstream-Bild von Afrika immer noch weitgehend statisch ist und von Bildern armer Kinder, Kriegen und Flüchtlingen lebt, erlaubt das Interview mit Obbo einige Einblicke in die sich rapide ändernden gesellschaftlichen Realitäten.
Natürlich gibt es die erwähnten Krisen und Konflikte, aktuell etwa im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia, oder im Sudan (Proteste gegen das Regime al-Bashir), nur zwei von den deutschen Medien kaum erwähnte. Insgesamt aber verbessert sich die Situation sehr vieler Menschen in den afrikanischen Ländern langsam aber stetig.
Ich bin keine Befürworterin der These, die mobile Revolution alleine mache alles besser, dazu gehört mehr, etwa die Menschen, die damit umgehen und ihre Gesellschaften gestalten. Social Media ist z.B. auch eine wirkungsvolles Mittel für Hetzpropaganda, die die Gewaltausbrüche nach den Wahlen in Kenia 2008 maßgeblich schürte, wie Obbo bemerkt.
Es gibt aber viele Anzeichen dafür, dass moderne Kommunikationsmittel den gegenwärtigen Aufwärtstrend mit beeinflusst haben und dies weiterhin tun. Obbo verweist etwa auf das bekannte kenianische Handy-Geldtransfersystem M-Pesa, das in kürzester Zeit mehr Menschen nutzen als jemals Zugang zu einer kenianischen Bank hatten.
Noch immer ist die „Netzgemeinde“ in den afrikanischen Ländern überschaubar – aber sie wächst stetig. Auch gibt es Millionen Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, in denen es keine oder nur instabile Internetverbindungen (von verlässlicher Stromversorgung zu schweigen) gibt und deren meistgenutztes Medium das Radio ist, da sie nicht lesen oder schreiben können.
Dennoch ist viel im Gange und ähnlich wie etwa in Deutschland, werden sicher die ländlichen Gebiete nach und nach aufholen. Alleine schon, da die überwiegend junge Bevölkerung immer besser ausgebildet wird und auch in ländlichen Gebieten Zugang zu Unterhaltung und unabhängigen Nachrichten über das Internet verlangen wird.
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